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Filmpreise für bewegende Dramen

Jury und Publikum zeichnen im spanischen San Sebastián Geschichten aus, die von existenziellen Fragen einfühlsam erzählen. Auch der Gaza-Krieg beansprucht einen Platz in dem international bedeutenden Filmwettbewerb.

Das spanische Familiendrama “Los Domingos” (“Sonntags”) ist am Samstagabend auf dem 73. Internationalen Filmfestival von San Sebastián mit dem katholischen Signis-Preis ausgezeichnet worden. Der Film der spanischen Regisseurin Alauda Ruiz de Azúa war der große Gewinner des Abends und wurde zusätzlich als bester Festivalbeitrag mit der “Goldenen Muschel” geehrt. Auch der Preis des internationalen Filmkritiker-Verbands (FIPRESCI) sowie die Auszeichnung als bester baskischer Film gingen an das bewegende Drama.

Abgesehen von einer außergewöhnlichen künstlerischen Qualität und einer anthropologischen Tiefe der Figuren würdigte die katholische Signis-Jury “Los Domingos” für seine Offenheit für Gotteserfahrungen wie auch für den kritischen Blick auf eine mögliche Ideologisierung. “In diesem Sinne lädt Ruiz de Azúas Film durch Ehrlichkeit und Respekt für die Vielfalt menschlicher Erfahrungen zu einer fruchtbaren Reflexion und Debatte über den Glauben und die katholische Kirche ein”, hieß es in der Begründung.

Der Film erzählt die Geschichte der 17-jährigen Schülerin Ainara – einer intelligenten, idealistischen Jugendlichen. Auf ihrer katholischen Schule, im Kirchenchor und durch ihre Freundschaft zu einer Nonne entwickelt sie religiöse Gefühle. Als sie erklärt, nach dem Abitur nicht wie erwartet an die Universität, sondern in ein Kloster gehen zu wollen, stellt sie ihre Familie vor eine harte Probe.

Einfühlsam, subtil und ohne Effekthascherei macht die Regisseurin Konflikte sichtbar – zwischen Glaube und Zweifel, Freiheit und Erwartungen. Es geht um das Verständnis von Liebe, Religion und Familie. Ruiz de Azúa gelingt es, nicht in Schwarz-Weiß-Malerei zu verfallen, keinen moralischen Zeigefinger zu heben. Sie behandelt das Thema Berufung und Religion nicht dogmatisch, sondern als zutiefst persönlich.

Die “Silberne Muschel” für die beste schauspielerische Leistung vergab die Jury an die chinesische Darstellerin Zhao Xiaohong und an den Spanier José Ramón Soroiz. Er spielt in “Maspalomas” den Ehemann Vicente, der Frau und Tochter verließ, um spät in seinem Leben seine stets unterdrückte Homosexualität zu leben. Die beiden Regisseure Aitor Arregi und José Mari Goenaga behandeln dabei mutig Themen wie Homosexualität im Alter, Identität und Verlust von Freiheit.

Nicht weniger eindrücklich die Leistung von Zhao Xiaohong, die als Laiendarstellerin ihre eigene Geschichte spielt: Zhao war zehn Jahre im Gefängnis, nachdem sie ihren gewalttätigen Ehemann in Notwehr getötet hatte. Der chinesische Dokumentarfilmer Qin Xiaoyu erzählt in seinem ersten Spielfilm “Her Heart Beats in its Cage” ihre Geschichte zwischen sozialem Stigma und der Entfremdung in der Familie.

Der begehrte Jury-Sonderpreis ging an den spanischen Filmemacher José Luis Guerín für seinen beeindruckenden wie schlichten Dokumentarfilm “Historias del buen valle”, der zärtlich und respektvoll die Einwohner von Vallbona porträtiert, einer ärmlichen Schlafstadt vor den Toren Barcelonas – es geht um Migration, Gentrifizierung, soziale Fragmentierung.

Der beliebte Publikumspreis wurde an “The Voice of Hind Rajab” verliehen. Das Drama der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania erzählt die wahre Geschichte von Hind Rajab. Das fünfjährige Mädchen war im Gazastreifen fast einen ganzen Tag verletzt neben ihren toten Familienangehörigen im Auto eingesperrt, das am 29. Januar 2024 von einem israelischen Panzer beschossen worden war.

Helfer in der Notrufzentrale des Roten Halbmonds sprachen dem Mädchen telefonisch Mut zu, bis israelische Behörden nach langen Verhandlungen endlich grünes Licht für eine Rettungsambulanz gaben. Doch auch dieses Fahrzeug wird beim Einsatz von einem Panzer zerstört. Um 19.30 Uhr verstummt Rajabs Stimme. Der Dialog und ihr Flehen nach Hilfe in der Aufzeichnung der Notrufzentrale sind erschütternd.

Praktisch sämtliche Preisträger trugen auf der Gala am Samstagabend Anstecker mit der Aufschrift “Stoppt den Genozid”. Viele forderten ein “freies Palästina” und “Frieden”. Unterdessen demonstrierten Tausende Menschen vor dem Kursaal am Roten Teppich mit Palästina-Flaggen für einen Boykott Israels und warfen der Regierung einen Völkermord in Gaza vor.