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Explosives Kriegserbe

Sie liegen verborgen unter Wiesen, Straßen und Baugruben: Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg. Auch acht Jahrzehnte nach Kriegsende sorgen sie regelmäßig für Aufregung und Evakuierungen. Meist sind es Zufallsfunde – etwa bei Bauarbeiten. Manchmal kommen Bomben auch zum Vorschein, wenn Flüsse Niedrigwasser führen, oder Bauern ihr Feld pflügen – und einen Blindgänger freilegen.

Schätzungsweise 1,5 Millionen Tonnen Bomben haben die Alliierten im Zweiten Weltkrieg über dem deutschen Reichsgebiet abgeworfen; allein über Baden-Württemberg waren es laut dem beim Regierungspräsidium Stuttgart angesiedelten Kampfmittelbeseitigungsdienst (KMBD) 100.000 Tonnen. Experten gehen davon aus, dass zehn bis 15 Prozent dieser Bomben damals nicht detonierten und als Blindgänger bis heute im Boden stecken.

Laut wissenschaftlichen Diensten des Bundestages werden deutschlandweit noch 100.000 bis 300.000 Tonnen Kampfmittelaltlasten im Erdreich vermutet. Jährlich werden im Schnitt etwa 5.000 bis 5.500 Blindgänger – hauptsächlich Fliegerbomben aus dem Zweiten Weltkrieg – entschärft und unschädlich gemacht.

„Aufgrund der schieren Menge an Kampfhandlungen in den beiden Weltkriegen werden Kampfmittel und Munition heute noch praktisch überall gefunden“, sagt ein Sprecher des Regierungspräsidiums dem Evangelischen Pressedienst (epd). Beim KMBD gingen täglich mehrfach Meldungen von Polizei oder Gemeinden aus dem ganzen Südwesten über Kampfmittel- oder Munitionsfunde ein.

Vor allem in Ballungsräumen wie Stuttgart, Karlsruhe oder Mannheim werden bei nahezu jedem größeren Bauprojekt Luftbilder des KMBD ausgewertet, um Kriegsbelastungen zu identifizieren. Fachleute sprechen von über 110.000 analysierten Luftaufnahmen allein aus Baden-Württemberg. Wie viele Bomben wirklich noch verborgen liegen, weiß niemand exakt. Auch nicht, ob es ein zweites Land in der Welt gibt, in dem noch so viel Explosives im Boden schlummert.

Stadtgebiete wie Stuttgart und Mannheim, aber auch Heilbronn und Friedrichshafen sind laut Regierungspräsidium besonders stark „kampfmittelverseucht“. Allein Stuttgart und Umgebung mit den vielen Industriearealen ist im Zweiten Weltkrieg von mehr als 50 Luftangriffen der Alliierten getroffen worden. Der KMBS geht davon aus, dass allein in der Landeshauptstadt und den umliegenden Gebieten vermutlich noch einige hundert Blindgänger im Boden liegen.

Im vergangenen Jahr hat der KMBD im Südwesten elf Bombenblindgänger entschärft und zwei kontrolliert gesprengt. Bei 811 Einsätzen wurden darüber hinaus 16,6 Tonnen Kampfmittel und Munition geborgen und vernichtet – darunter Granaten, Sprengstoffe und Waffen. Seit 1946 haben die Mitarbeiter des KMBD im Südwesten sagenhafte 7.486.151 Kilogramm Munition geborgen und vernichtet sowie 24.638 Bomben entschärft.

„Man muss sich immer vor Augen halten, dass diese Munition vor 80 Jahren für die sofortige Zerstörung produziert wurde“, sagt Ralf Vendel, Leiter des KMBD in Baden-Württemberg. „Die Sprengkörper stecken zum Teil drei oder vier Meter tief im Boden. Je länger sie liegen, desto kritischer wird ihr Zustand.“ Die Gefahr ergibt sich oft aus beschädigten Zündern, verrosteten Hüllen und chemischer Instabilität. Während der Entschärfung wird alles andere ausgeblendet, so Vendel: „Routine darf es nicht geben – das kann tödlich enden.“ Unfälle sind selten – aber sie passieren. Seit 1946 kamen im Südwesten 13 Mitarbeiter des KMBD ums Leben beim Versuch, Überreste aus dem Zweiten Weltkrieg unschädlich zu machen.

Wann wird die letzte Bombe geborgen sein? Experten sprechen von einer Generationenaufgabe, die noch Jahre, Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte dauern wird. Ralf Vendel ist sich sicher: „Uns wird die Arbeit in den nächsten Jahrzehnten nicht ausgehen.“ (2242/10.09.2025)