Artikel teilen:

Expertin: Im Social Web gewinnt, wer am schnellsten den Colt zieht

Jeder Klick hat Folgen, ob Like oder schlicht längeres Betrachten. Viele Menschen fühlen sich von ihrem eigenen Online-Konsum inzwischen gestresst. Wer die Mechanismen kennt, kann bewusster mit Social Media umgehen.

Online häufiger innehalten: Dazu rät die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout. Viele Menschen erlebten die Sozialen Netzwerke inzwischen wie eine Art Wilden Westen: “Nominell gibt es vielleicht Sheriffs, aber letztlich gewinnt dort derjenige, der zuerst den Colt zieht”, sagte Kohout in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). In ihrem Buch “Hyperreaktiv” beschreibt die Autorin die moderne Reaktionskultur, die sich inzwischen über das Social Web hinaus etabliert habe.

Viele Menschen merkten, dass es ihnen emotional nicht gut tue, übermäßig viele schlechte Nachrichten zu konsumieren oder “Brainrot” zu betreiben, sich also minderwertigen Inhalten im Netz auszusetzen. Sinnvoll sei stets, zu hinterfragen, warum ein bestimmter Beitrag eine emotionale Reaktion auslöse, erklärte Kohout, und den Kontext zu beachten. “Verantwortung hatten früher eher Promis oder Politiker, die stark in der Öffentlichkeit standen. Heute betrifft sie auch Menschen, die vielleicht ‘nur’ 1.000 Follower haben. Damit muss man umgehen lernen.”

Diese Verantwortung sei vielen Nutzerinnen und Nutzern kaum bewusst, sagte die Autorin: “Jedes Like, jeder Kommentar, jede Share-Aktion im Netz wird gemessen. Das beginnt bei der Verweildauer. Schon allein das längere Anschauen entscheidet mit darüber, welche Inhalte besonders viel Aufmerksamkeit bekommen und welche in der Unsichtbarkeit verschwinden.” Insofern seien “Reactions” in jeder Form “die Hauptwährung im Netz”.

Wie Menschen reagierten, Dinge bewerteten oder an andere weitergäben, präge inzwischen auch das Offline-Verhalten. Das betreffe nicht nur “Digital Natives”, betonte Kohout: “Beispielsweise kalkulieren auch Kulturinstitutionen Reaktionen inzwischen selbstverständlich ein – das zeigt sich, wenn Kunstausstellungen möglichst instagrammable sein sollen oder wenn Clickbaiting betrieben wird.” Wer wahrgenommen werden wolle, komme um diese Mechanismen nicht herum – auch bei kritischer Betrachtung nicht.