Da war selbst der Richter erstaunt: „Das ist ja ein Riesenandrang“, sagt Stephan Rotter angesichts der Menschenansammlung, die sich vor dem Sitzungssaal der Kaufbeurer Außenstelle des Arbeitsgerichts Kempten gebildet hat. Dann die Entwarnung: Alle dürfen in den kleinen Saal, auch wenn die Sitzplätze nicht reichen. Auf der Tagesordnung steht der Gütetermin zwischen dem früheren Kaufbeurer Kantor Frank Oidtmann und der bayerischen Landeskirche. Am 1. März wurde Oidtmann Kantor an der Dreifaltigkeitskirche, zum 31. August wurde ihm in der Probezeit gekündigt.
Die Empörung in der Kirchengemeinde – vor allem unter den rund 80 Mitgliedern der Kantorei – war groß. Knapp 30 Kantorei-Mitglieder und Unterstützer Oidtmanns verfolgen den Gütetermin am Mittwoch in Kaufbeuren mit. Sie hoffen auf ein Einlenken der Landeskirche und auf eine Rückkehr Oidtmanns. Doch schnell ist bei dem 15-minütigen Termin klar: Eine gütliche Einigung wird es erstmal nicht geben. Die Landeskirche will die Kündigung Oidtmanns während dessen Probezeit aufrechterhalten. Oidtmann wiederum, der gegen seine Kündigung geklagt hatte, möchte seine Stelle als Kantor an der evangelischen Dreifaltigkeitskirche zurück.
Auf eine mögliche Abfindung komme es Oidtmann nicht an, sagt dessen Anwalt Michael Dreßler bei dem Gütetermin. Die konkreten Gründe für Oidtmanns Kündigung hat die evangelische Landeskirche mit Verweis auf Persönlichkeits- und Datenschutz bislang nicht genannt. Der Anwalt der Landeskirche, Stefan Rieger, erläutert bei dem Gütetermin lediglich, dass es auf der zwischenmenschlichen Ebene nicht gepasst habe. Die fachliche Kompetenz hingegen stellt er nicht infrage. Im Gegenteil: Oidtmanns musikalisches Wirken wurde auch von landeskirchlicher Seite stets gelobt.
Oidtmanns Anwalt wiederum verweist am Mittwoch auf mögliche Formfehler bei der Kündigung. So sollen nicht alle Mitarbeitervertretungen bei der Kündigung beteiligt worden sein, daher sei diese unwirksam. Mitarbeitervertretungen sind das kirchliche Pendant zu Betriebsräten. Bei Kündigungen oder Einstellungen müssen sie fristgerecht beteiligt werden. Die Kündigung hatte über Kaufbeuren hinaus Wellen geschlagen: zum einen, weil die Kaufbeurer Kantorei ein hochangesehener Laienchor ist, zum anderen, weil viele Mitglieder seit Monaten vehement für eine Rückkehr Oidtmanns kämpfen, unter anderem mit einer Unterschriftenaktion und Briefen an die Kirchenleitung.
Da sich Oidtmann und Landeskirche nicht einigen konnten, geht die juristische Auseinandersetzung in die nächste Runde: Die Landeskirche muss bis 17. November eine Klageerwiderung einreichen. Bis 15. Dezember wiederum habe Oidtmann Zeit für eine Replik. Die Entscheidung soll bei einem Kammertermin fallen, der laut Richter Rotter frühestens im ersten Quartal 2026 stattfinden kann. Kantorei-Mitglied Astrid Harpprecht sagt nach dem Gütetermin, dass sie diesen Ausgang zwar erwartet habe. Aber: „Wäre die Landeskirche klug gewesen, hätte sie großzügig und großherzig reagieren können.“ Sprich: Die Landeskirche hätte ihrer Auffassung nach die Kündigung Oidtmanns zurücknehmen sollen.
Der Kantorei, die zu der Personal-Querele durchaus gespalten ist, stehe eine monatelange Hängepartie bevor, befürchtet Harpprecht. Die einen wollten nur unter Oidtmann singen, die anderen wollten sich auf einen Interimskantor einlassen. Oidtmann selbst, der sich sichtlich über die Unterstützung durch seine ehemalige Kantorei freut, will sich öffentlich nicht äußern. Anwalt Dreßler sagt, dass er die Argumentation, dass es zwischen Oidtmann und den Hauptamtlichen in der Kirchengemeinde zwischenmenschlich nicht gepasst haben soll, nicht nachvollziehen könne. Gerade das Zwischenmenschliche sollte doch eine Institution wie die Kirche hinbekommen, vor allem gegenüber den eigenen Beschäftigten, sagt der Jurist.
Auch Thomas Melcher vom Kirchenvorstand hätte sich eine gütliche Einigung gewünscht. Das Hauptergebnis für ihn sei aber, dass so viele Mitglieder von der Kantorei zum Gütetermin gekommen seien. „Das zeigt, wie sehr das Thema die Menschen hier bewegt.“ (3298/23.10.2025)