Evangelische Kirche setzt Betroffenenbeirat vorläufig aus

Die Beteiligung von Betroffenen bei der Aufarbeitung des Missbrauchs in der evangelischen Kirche steht erst einmal vor dem Ende – nach nur acht Monaten. Was lief schief?

Der Braunschweiger Landesbischof Christoph Meyns, Sprecher des EKD-Beauftragtenrats
Der Braunschweiger Landesbischof Christoph Meyns, Sprecher des EKD-BeauftragtenratsSusanne Hübner / epd

Hannover. Der im vergangenen September berufene Betroffenenbeirat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Begleitung der Aufarbeitung und Prävention von Missbrauch wird vorläufig ausgesetzt. Die bisherige Konzeption sei gescheitert, erklärte die EKD nach einer Sitzung des Gremiums.

Die Mitteilung verwies auf Rücktritte aus dem Beirat und interne Konflikte zwischen dessen Mitgliedern. Zudem sei in Gesprächen zwischen dem Beauftragtenrat, dem leitende Geistliche und Kirchenjuristen angehören, und dem Betroffenenbeirat kein Konsens über das weitere Vorgehen erzielt worden. „Der Beauftragtenrat hatte eine Weiterarbeit des Gremiums schließlich als nicht möglich angesehen“, heißt es in der Mitteilung.

An Grenzen gestoßen

Es sei deutlich geworden, dass die bisher gewählte Form der Beteiligung an Grenzen gestoßen sei, erklärte der Sprecher des Beauftragtenrats, der Braunschweiger Bischof Christoph Meyns. Das sei für alle Beteiligten „äußerst schmerzlich“. Die Beteiligung von Betroffenen an der Aufarbeitung sexualisierter Gewalt sei für die evangelische Kirche aber zentral und unverzichtbar, betonte Meyns. Daran solle festgehalten werden.

Neustart geplant

Der Mitteilung zufolge soll die Arbeit des Gremiums extern evaluiert werden. Auf Grundlage der Ergebnisse sollen mit den ursprünglichen Mitgliedern des Beirats neue Formen der Beteiligung diskutiert werden, hieß es. Für die Zwischenzeit soll es eine andere Form der Betroffenenbeteiligung geben, erklärte die EKD, ohne Details zu nennen.

Die Evaluation soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Ein Neustart der Betroffenenpartizipation sei zwingend erforderlich, sagte Meyns. Die Arbeit des Beauftragtenrats wird demnach aber nicht in die wissenschaftliche Betrachtung einbezogen.

Bischof Meyn setzt auf einen Neustart im Herbst. Das gesamte System müsse jetzt auf den Prüfstand gestellt werden, sagte der Bischof dem Deutschlandfunk. Aber der Wille, Betroffene zu beteiligen, sei ungebrochen. „Wir lassen uns jetzt auch durch dieses Scheitern im ersten Anlauf nicht entmutigen“, betonte Meyns. Es habe massive Konflikte gegeben, was das Rollenverständnis des Betroffenenbeirats angehe und die Frage, wie konstruktiv und wie kritisch der Beirat arbeiten solle, sagte Meyns.

Schlichtung erwünscht

Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, schlug einen Schlichtungsversuch vor, um das Gremium nicht aufzugeben. „Eine Beendigung – egal ob sie Aussetzung, Auflösung oder Ruhen genannt wird – darf immer nur ultima ratio sein“, sagte Rörig dem epd.

Der Betroffenenbeirat wurde als Gegenüber zum Beauftragtenrat im vergangenen September mit zwölf Mitgliedern berufen. Fünf von ihnen sind bis März zurückgetreten. Sie machten interne Konflikte, aber auch Kritik an der Zusammenarbeit mit dem zuständigen EKD-Gremium geltend. Im März kritisierten im Beirat verbliebene Mitglieder, dass sie nicht ausreichend und rechtzeitig über Sachverhalte informiert und nicht auf Augenhöhe behandelt würden. Die Mitglieder des Betroffenenbeirats haben eine Stellungnahme zum vorläufigen Aus des Gremiums angekündigt.

Strukturelle Fehler

Vier bis März aus dem Beirat zurückgetretene Mitglieder hatten bereits eine Erklärung veröffentlicht, in der sie der EKD konzeptionelle und strukturelle Fehler bei der Umsetzung des Beirats vorwerfen. Die ehrenamtlichen Mitglieder seien mit den an sie gestellten Aufgaben überfordert worden. Die Anforderungen seien „weit über das Maß eines üblichen Ehrenamts hinausgegangen“. Sie schlugen vor, die Expertise Betroffener für dringliche Fragen „projektgebunden und auf Honorarbasis“ einzuholen.

Nach der Aufdeckung von Missbrauchsfällen vor allem in der katholischen Kirche wurden auch Fälle aus evangelischen Gemeinden und Einrichtungen gemeldet. Im Oktober 2020 meldeten die zuständigen Kommissionen der Landeskirchen 881 Fälle sexualisierter Gewalt im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie seit 1950. (epd)