Evangelische Friedensethik soll auf den Prüfstand

Die evangelische Kirche berät in Magdeburg über ihre Haltung zu Krieg und Frieden. Der Ukraine-Krieg hat eine Debatte ausgelöst, vor allem über die deutschen Waffenlieferungen.

Im Gespräch: der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer (li.) und der Synodale und Generalmajor der Bundeswehr, Ruprecht von Butler
Im Gespräch: der EKD-Friedensbeauftragte Friedrich Kramer (li.) und der Synodale und Generalmajor der Bundeswehr, Ruprecht von ButlerJens Schlüter / epd

Magdeburg. „Verleih uns Frieden gnädiglich“ – dieser Friedensruf, den einst der Reformator Martin Luther verfasste, ist in diesen Tagen in Magdeburg bei der Jahrestagung der EKD-Synode aller Orten zu hören. Er ist Ausdruck einer Sehnsucht, die angesichts des russischen Angriffskriegs in der Ukraine nicht nur innerhalb der Kirchen Aktualität erlangt.

Magdeburg steht selbst für eine Geschichte, die geprägt ist von Verlust und Zerstörung. Daran erinnerte der Friedensbeauftragte der EKD, der Magdeburger Landesbischof Friedrich Kramer. Der Begriff „magdeburgisieren“ sei nach der Zerstörung und grausamen Auslöschung von fast zwei Dritteln der Stadtbevölkerung im Jahr 1631 während des 30-jährigen Kriegs als Synonym für „völlig zerstören“ in die deutsche Sprache eingegangen. Heute könnten die ukrainischen Städte Butscha oder Saporischschja an dieser Stelle stehen.

Für Frieden und Gewaltlosigkeit

Der russische Angriff am 24. Februar hat eine innerkirchliche Debatte über Friedensethik angestoßen. Viele fragen sich, ob die Friedensdenkschrift von 2007 noch zeitgemäß ist. Auf der einen Seite steht der Friedensbeauftragte Kramer. Der mitteldeutsche Bischof bekräftigt seine Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Er trete dafür ein, dass die evangelische Kirche ihren Einsatz für Frieden und Gewaltlosigkeit gerade jetzt fortführe.

Rudolpho Duba / Pixelio

Auf der anderen Seite stehen etwa die EKD-Ratsvorsitzende, Annette Kurschus, die Waffenlieferungen für legitim hält, zugleich aber auch Bemühungen um diplomatische Lösungen und Gespräche fordert.

Nach dem Willen von Kramer soll die Vielstimmigkeit der protestantischen Positionen zur Friedensethik harmonisiert werden. Dazu schlägt er eine „Friedenswerkstatt“ vor, die mithilfe eines mehrstufigen Verständigungsprozesses über eine Neuausrichtung der Friedensdenkschrift von 2007 entscheiden soll. Die Denkschrift betont unter dem Leitbegriff des „gerechten Friedens“, dass zur Wahrung und Wiederherstellung des Rechts unter Umständen auch militärische Gewalt gerechtfertigt ist.

Grundlagen erst in zwei Jahren?

Ein erster Grundlagentext der geplanten „Friedenswerkstatt“ könnte 2025 vorliegen, wenn sie ihre Arbeit Anfang 2023 aufnehmen kann. Das Konzept stammt maßgeblich aus dem Verein Friedensarbeit in der EKD, in dem sich die Akteure der protestantischen Friedensbewegung versammeln.


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Die frühere Synodenpräses der EKD und Bundesministerin Irmgard Schwaetzer mahnt an, dass nicht nur die Perspektive der evangelischen Friedensbewegung im Prozess gehört werden dürfe, sondern man auch mit realpolitischen Akteure sprechen solle, die Einblicke in die konkreten außen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen durch den Ukraine-Krieg hätten. Sie befürchte sonst eine Einseitigkeit des Prozesses, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch der Synodale und Generalmajor der Bundeswehr, Ruprecht von Butler, mahnt die Ausgewogenheit des Gremiums in der kontroversen Aussprache zu Kramers Bericht an. Es sei wichtig, einige Positionen von 2007 zu überdenken.

Auf den Prüfstand müsse dann auch die Haltung zur nuklearen Abschreckungslogik, betont von Butler. „Davor darf die evangelische Kirche sich nicht drücken“, sagt er. Eine Friedenskundgebung von 2019 enthält einen vorsichtigen Appell der Synode an die Bundesregierung, dem Atomwaffenverbotsvertrag beizutreten. Das hätte zur Folge, dass Deutschland aus der Nato austreten müsste. Auf diese Konsequenz hatte damals Irmgard Schwaetzer maßgeblich hingewiesen.

Selbstkritik erwünscht

Die Synode müsse sich selbstkritisch fragen, ob die Überzeugungen und Gewissheiten, die im Herbst 2019 galten, drei Jahre später noch gelten können, heißt es auch in einem Antrag, den der Synodale und Jurist Hans-Peter Strenge aus Hamburg einbrachte.

Zu welchen Positionen die Synode und Rat der EKD sich schließlich durchringen – einig dürften sich alle in dem Dilemma sein, auf das auch der Friedensbeauftragte hinweist: „Wir kommen nicht schuldlos aus diesen Fragen heraus, weil der Krieg das Böse selbst ist.“ (epd)