„Es war Heimat für mich“

Die Ausstellung „Es war Heimat für mich“ zeichnet erstmals umfassend die Entwicklung des Lagers Tidofeld in der ostfriesischen Stadt Norden von den Anfängen bis in die frühen 1960er-Jahre nach.

Günter Wrobel vom Norder Medienzentrum (li.) und der Leiter der Dokumentationsstelle Tidofeld, Lennart Bohne, haben die virtuelle Ausstellung entwickelt
Günter Wrobel vom Norder Medienzentrum (li.) und der Leiter der Dokumentationsstelle Tidofeld, Lennart Bohne, haben die virtuelle Ausstellung entwickeltWerner Jürgens

Norden-Tidofeld. In Frühjahr jährte sich die Gründung des ehemaligen Vertriebenenlagers Tidofeld zum 75. Mal. Aus diesem Anlass hatte die Dokumentations- und Begegnungsstätte des Friedensortes die Sonderausstellung „Es war Heimat für mich“ vorbereitet. Als sich abzeichnete, dass die wegen der Corona-Beschränkungen nicht wie geplant durchgeführt werden konnte, tat sich das Team um ihren pädagogischen Leiter Lennart Bohne mit ­Günter Wrobel vom Norder Medienzentrum zusammen, um eine Online-Präsentation zu erarbeiten.

Die Ausstellung gliedert sich in vier Schwerpunkte. Ein Kapitel beschäftigt sich mit der Zeit vor 1946. Ende der 1930er Jahre enteigneten die Nationalsozialisten das im Besitz der Familie zu Innhausen und Knyp­hausen befindliche Terrain, um dort ein Durchgangs- und Ausbildungslager zur Koordinierung von Truppenbewegungen einzurichten. Anfang Mai 1945 übernahmen die britisch-kanadischen Alliierten dann das Kommando und funktionierten Tido­feld in ein Entlassungslager für deutsche Kriegsgefangene um.

Kinderbuch aus der Nachkriegsära

Während dieser Zeit entstand das vermutlich erste Kinderbuch der deutschen Nachkriegsära. Werner Klemke, der später als Grafiker und Illustrator in der DDR Karriere machen sollte, produzierte während seiner Internierung im Sommer 1945 in der Lithographie-Werkstatt per Steindruck 15 Exemplare der Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten. Eines davon kann jetzt auch im Netz virtuell durchblättert werden.

Vermutlich das erste Kinderbuch der deutschen Nachkriegsära: Werner Klemke schuf es im Sommer 1945 in Tidofeld
Vermutlich das erste Kinderbuch der deutschen Nachkriegsära: Werner Klemke schuf es im Sommer 1945 in TidofeldWerner Jürgens

Zweites Schwerpunktthema der Ausstellung ist die Vertreibung der Menschen aus den Ostgebieten und deren Ankunft in Tidofeld. Die ersten Flüchtlingen trafen bereits im Herbst 1944 in Ostfriesland ein. Sie sollten mit dafür sorgen, dass allein Nordens Bevölkerung von knapp 12 500 im Jahre 1937 bis 1947 auf über 18 000 wuchs. Eine Einquartierung in Privathaushalte, wie sie die Alliierten ursprünglich vorhatten, war auf die Dauer nicht realisierbar. Notgedrungen wurden alle zur Verfügung stehende Gebäude im Lager zu Behelfsheimen umfunktioniert.

Das drittes Kapitel widmet sich dem Lagerleben und schildert, wie die Vertriebenen zunächst untereinander zu einer Gemeinschaft zusammenwuchsen. Ein wichtiger Bezugspunkt war ein von der evangelisch-lutherischen Kirche eingerichteter Raum, den nicht nur Lutheraner, sondern auch Katholiken und Baptisten regelmäßig für ihre Gottesdienste nutzten. Darüber hinaus gab es verschiedene eigenständiger Geschäfte, die teilweise als Ausbildungsbetriebe fungierten und in denen bald auch Kunden von außerhalb des Lagers einkauften.

Stadtteil entwickelt sich

Der vierte Teil der Austellung zeichnet die Entwicklung vom Barackenlager zum Stadtteil von Norden nach. Die ist „im Vergleich zu den meisten anderen damaligen Flüchtlingslagern in Deutschland durchaus ungewöhnlich“, wie Lennart Bohne hervorhebt. Die Vertriebenen bildeten einen Lagerrat und verschafften sich darüber in der Norder Politik Gehör, so dass man sie aktiv in die Siedlungspolitik einband. Zu Beginn des Jahres 1958 wurde den Kommunen vom Land Niedersachsen das letzte Barackenräumungsprogramm auferlegt. Die Stadt Norden wollte die Siedlungsgebiete und Bauland eigentlich erst in anderen Stadtteilen ausschreiben, scheiterte jedoch am Widerstand der Lagerbewohner. Die hatten mehrheitlich beschlossen, in Tidofeld zu bleiben und konnten den Rat der Stadt Norden schließlich überzeugen. So wurde aus einem Barackenlager für Flüchtlinge ein Stadtteil der ostfriesischen Küstenstadt Norden.