Erwarten und nicht nur abwarten

Über seine Begegnung mit einer alten Dame schreibt Pastor Tilman Baier. Er ist Chefredakteur der Kirchenzeitung in Schwerin.

Der Predigttext des kommenden Sonntags lautet: „Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen des Herrn ist nahe.“ aus dem Jakobusbrief 5, 7 und 8
Als ich die alte Frau das letzte Mal besuchte, da saß sie in einem Sessel am Fenster ihres Zimmers im Altenheim, auf der Decke über ihren Knien lag ein selbstgebasteltes Leporello. „Jeder der zusammengeklebten Zettel ist einer Person gewidmet, die ich kenne“, erklärte sie mir. „Da notiere ich nach Briefen oder Telefonaten, wie es ihr geht, und so vergesse ich keinen bei der Fürbitte. Was kann ich sonst noch tun, außer geduldig zu warten, dass der Herr Jesus mich ruft?“ Dabei klang sie überhaupt nicht verbittert, sondern fröhlich.
Für einen Moment sah ich mich selbst dort in dem Sessel sitzen, unfähig, etwas anders zu tun, als auf das eigene Lebensende zu warten. Ob ich dann auch meinen Tag mit dem Gebet für andere verbringen würde? Und vor allem: Ob ich dann auch diese heitere, gelassene Geduld dieser alten Frau aufbringen könnte?
Ihr Geheimnis war wohl, dass sie von der Zukunft noch alles erwartete, trotz oder gerade wegen des nahen Lebensendes. Während manch andere ihrer Mitbewohner nur noch darauf warteten, dass es die nächste Mahlzeit gab, freute sie sich auf die Begegnung mit ihrem Heiland. Und die Zeit bis dahin wollte sie nicht nutzlos verstreichen lassen.
Diese alte Frau lässt mich den Jakobusbrief heute anders lesen als noch vor einigen Jahren. Damals hatten mich solche Aufforderungen zur Geduld nur genervt. Der ganze Brief, den Martin Luther einst eine „strohene Epistel“ gescholten hatte, klang auch mir verdächtig nach einer kleinbürgerlichen Sehnsucht, die verstörenden Weltläufe in einem ruhigen Winkel zu überdauern; nicht anzuecken, sondern stillzuhalten.
Heute kann ich diese Sehnsucht angesichts der vielen Flüchtlingsschicksale zwar besser nachvollziehen. Doch mit dem Aufruf zur Geduld meint der Schreiber des Jakobusbriefes eben nicht ein kuschendes Stillhalten. Weil der Christus bald wiederkommen wird, darum können wir, so meint er, auch das nachleben, was Jesus einst gepredigt und vorgelebt hat – bis hin zur Feindesliebe. Leben im Advent heißt nicht Abwarten. Sondern Erwarten.
Unser Autor
Pastor Tilman Baier ist Chefredakteur der Kirchenzeitung in Schwerin.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.

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