Eine Kirche für die Straße

Seit 27 Jahren ist Martin Paulekun Pastor auf St. Pauli und hat hautnah erlebt, wie stark sich der Stadtteil verändert. Im September geht der 64-Jährige in den Ruhestand.

Pastor Martin Paulekun
Pastor Martin PaulekunThomas Morell

Hamburg. Der Weg ins Pastorenamt war für Martin Paulekun eher holperig. Der gebürtige Sauerländer wollte ursprünglich Maschinenbau studieren. Nur zur Überbrückung schrieb er sich in Hamburg für das Fach Theologie ein, obwohl er nicht einmal Kirchenmitglied war. Doch die Fragen um Gott und die Welt fesselten ihn. Nach Stationen in Billstedt und Dulsberg bewarb er sich 1997 auf die freie Stelle auf St. Pauli.

„St. Pauli war damals völlig anders“, erinnert er sich. Das Kirchengelände war ein Hort für Dealer, Junkies, Kriminelle und Hunde. Wenn zehn Leute zum Gottesdienst kamen, waren alle glücklich. Mitte der 90er Jahre war die Gemeinde fast bankrott. Doch für den Pastor eröffnete sich hier auch eine „spannende Welt“. Damals tobte noch der Kampf um die besetzten Häuser der Hafenstraße. Er engagierte sich mit seiner Gemeinde und Initiativen für eine friedliche Lösung, was letztendlich auch gelang.

Engagiert im Viertel

Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Seelsorge, die Begleitung der Kita-Kinder und die Vernetzung mit den Initiativen im Stadtteil. Da ging es etwa um die Schließung des Hafenkrankenhauses oder den Abriss der Bavaria-Brauerei kurz danach. Für ihn stehe dahinter die grundsätzliche Frage: „Wie bringe ich die Kirche und die Straße zusammen?“

Viele Monate gewährte die St. Pauli-Kirche den Flüchtlingen Unterschlupf
Viele Monate gewährte die St. Pauli-Kirche den Flüchtlingen UnterschlupfSimone Viere / epd

Spektakulär war die Öffnung der St. Pauli-Kirche im Juni 2013 für rund 80 Lampedusa-Flüchtlinge, die von Italien nach Deutschland geschickt worden waren und obdachlos in Hamburg lebten. Martin Paulekun ist immer noch begeistert von der breiten Unterstützung der humanitären Aktion. Rund 250.000 Euro wurden gespendet, mehr als 200 Ehrenamtliche waren im Einsatz. Nach zähen politischen Debatten, zahlreichen Demos und Protesten gingen ein halbes Jahr später die meisten Flüchtlinge zur Einzelfallprüfung ins Asylverfahren.

Vor allem das langjährige Sanierungsprogramm hat den Stadtteil aufgewertet. St. Pauli sei für viele ein „Durchlauferhitzer“, hat Paulekun beobachtet. „Man bleibt für ein paar Jahre und sucht sich dann etwas Neues.“ Die Kirche liegt mittlerweile in einem schmucken Park, und Bienen sammeln dort den Kiez-Honig. Die Gottesdienstbesucher strömen auch wieder zahlreich. Relativ viele junge Leute kämen in die Gottesdienste, ist dem Pastor aufgefallen. St. Pauli sei immer noch ein Stadtteil der Toleranz und Vielfalt, und manch einer würde sich wundern, wenn er wüsste, wer da neben ihm beim Abendmahl steht.

Für den FC St.Pauli gebetet

Mit St. Pauli verbinde sich ein bestimmtes Lebensgefühl, sagt Paulekun. Es gebe hier viele Menschen, die schon mal auf die Nase gefallen sind. Dieses Lebensgefühl zeige sich besonders beim FC St. Pauli, für den er beim Abstiegskampf auch schon mal im Radio gebetet hat. „Da feiern die Fans ihren Verein auch nach einer Niederlage.“ Wenn möglich, ist er bei jedem Heimspiel dabei.

Im Ruhestand wartet sein Bulli

Meist unbekannt ist, dass die Kirchengemeinde St. Pauli wohl die flächenmäßig größte in Hamburg ist. Neben Reeperbahn und Schanze umfasst sie Planten un Blomen, das Heiligengeistfeld und südlich der Norderelbe große Teile des Hafens, wo knapp eine Handvoll Gemeindemitglieder leben. Kurioserweise gehört das Kirchengelände verwaltungstechnisch zum Bezirk Altona. Paulekuns Nachfolgerin steht bereits fest: Sandra Starfinger aus Sasel tritt im September ihren Dienst an. Weiterhin ist noch Pastor Sieghard Wilm im Amt.

Am Sonntag, 27. September, wird Martin Paulekun offiziell verabschiedet. Er selbst ist mit seiner Frau bereits nach Altona gezogen. Im Ruhestand warten nicht nur seine drei Kinder mit ihren fünf Enkeln auf ihn, sondern auch ein alter VW-Bulli, den er wieder flottmachen will. (epd)