Eine Gemeinde auf Zeit

Militärgeistliche begleiten auch bei Auslandseinsätzen für die Bundeswehr. Kirchliche Arbeit steht hier vor besonderen Herausforderungen.

Pastor Thomas Bretz-Rieck bei einer Weihnachtsandacht auf dem Mount Keita in Mali
Pastor Thomas Bretz-Rieck bei einer Weihnachtsandacht auf dem Mount Keita in MaliRick Schulze

Militärgeistliche haben es mit einer speziellen Form von Gemeindearbeit zu tun. Sie geschieht dort, wo die Menschen ihrem Beruf nachgehen. Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge sind eingepasst in den Berufsalltag der Gemeindemitglieder. Die Schwerpunkte dieser begleitenden und aufsuchenden Arbeit ergeben sich aus den konkreten Bedürfnissen der Soldaten vor Ort. Diese resultieren aus ihrem ungewöhnlichen Beruf mit seinen Anforderungen an die persönliche Lebensführung. 
Was für die Arbeit am Standort in Deutschland gilt, gilt ebenso für die Auslandseinsätze der Bundeswehr, die von Militärgeistlichen begleitet werden. Im Rahmen eines solchen Einsatzes werden Soldaten in Staaten Asiens, Afrikas und Europas oder auf See entsendet, um dort in der Regel für drei bis sechs Monate Dienst zu tun. Sie bilden dort Gemeinschaften auf Zeit. 
Besonderer Alltag
Der Alltag im Einsatz unterscheidet sich erheblich von dem zu Hause. Die Soldaten leben für mehrere Monate auf engstem Raum zusammen. Eine wirkliche Privatsphäre hat dabei niemand. Die Unterbringung erfolgt in Zwei- oder Dreibettstuben auf sehr begrenztem Raum. Die Mahlzeiten werden gemeinsam eingenommen, die Aufgaben und Aufträge werden zusammen erledigt, der Feierabend wird mit Kameraden verbracht und selbst bei der Nutzung der sanitären Anlagen ist man nicht allein. 
Unter diesen Bedingungen wird man als Person selbst vollständig sichtbar und die anderen erscheinen ebenso. Dem kann sich niemand entziehen. Die einen reagieren empfindlicher darauf, die anderen resoluter und die meisten bewegen sich irgendwo dazwischen.
Das Ganze spielt sich in der Regel in einer fremden und unvertrauten, nicht selten abweisenden Umwelt ab. Meist ist das Klima extrem. Oft ist die Luft stark belastet: Staub und Abgase machen das Atmen schwer. Die Einheimischen leben in der Regel unter aller­einfachsten Verhältnissen und oder in Armut. Tier- und Umweltschutz spielen selten eine Rolle.
Die Sicherheitslage
Die Sicherheitslage erfordert eine angemessene Disziplin und Aufmerksamkeit. Davon hängt die eigene Sicherheit ebenso wie die der Kameraden ab. Die Gefährdung ist natürlich nicht in allen Einsätzen dieselbe und auch nicht bei allen Tätigkeiten und Aufträgen. 
Aber die Soldaten sind grundsätzlich einer gewissen Gefährdung ausgesetzt. Dementsprechend tragen sie Waffen und außerhalb des Camps zusätzlich eine Splitterschutzweste und einen Gefechtshelm. Die Fortbewegung erfolgt in der Regel in geschützten Fahrzeugen.
Persönliches
Jede und jeder ist natürlich mit ihrer oder seiner ganz persönlichen Geschichte im Einsatz. Dieses Amalgam aus glücklichen und weniger glücklichen Erfahrungen, aus Sehnsucht und Erfüllung, aus Freude und Schmerz kann niemand ablegen. Und alle haben ihr Zuhause zurückgelassen, und die Menschen, die zu ihnen gehören. Das sorgt für ein gutes Quantum an emotionaler Energie. 
Persönliche oder dienstliche Problemlagen verschärfen sich unter diesen ungewöhnlichen Bedingungen des Alltags im Einsatz wie unter einem Vergrößerungsglas. Und bei aller guten Kameradschaft im Einsatz lässt sich die Nähe zur Familie und zu den Freunden zu Hause nicht kompensieren.
Die Militärgeistlichen sind hier als Seelsorgende und als Beratende stark gefordert. Zusammen mit Truppenpsychologie und Sanität begleiten und unterstützen sie die Soldaten professionell.
Spiritualität
Für viele Soldaten spielt im Einsatz die Spiritualität eine große Rolle: als eine Quelle der Kraft und des Trostes und als eine Möglichkeit, mitten in der Fremde innerlich Zuhause zu finden. Erst recht natürlich vor dem Hintergrund belastender Ereignisse. 
Die stets ökumenischen Gottesdienste, Andachten und Gedenkfeiern sind gut besucht. Aber auch geistliche Chöre werden bei weitem nicht nur von Kirchenmitgliedern gern als Gelegenheit wahrgenommen, Kirche zu erleben. So wird aus Gemeinschaft auf Zeit Gemeinde auf Zeit.