Eine Gemeinde auf der Reise

Die Rostocker Pastorin Elisabeth Lange hat eine zweite Gemeinde: Sie ist Schaustellerpastorin für Mecklenburg-Vorpommern. Im Gespräch verrät sie, warum sie trotzdem in kein Karussell steigt.

Schaustellerseelsorgerin Elisabeth Lange im Autoscooter nach einem Gottesdienst in Ribnitz
Schaustellerseelsorgerin Elisabeth Lange im Autoscooter nach einem Gottesdienst in RibnitzMarion Wulf-Nixdorf

Frau Lange, fahren Sie gern Karussell oder lieber Autoscooter?
Elisabeth Lange: Auf jeden Fall ziehe ich Autoscooter vor. Beim Karussellfahren wird mir schlecht.

Im Ernst: Sie sind Pastorin in der Innenstadtgemeinde mit rund 3700 Gemeindemitgliedern. Eine von drei Gemeindepastoren. Wie viele Schausteller kommen zu Ihrer Gemeinde hinzu?
Das kann man nicht so genau sagen. Ich bin für die Schaustellerfamilien in ganz MV zuständig. Der Schaustellerverband unseres Bundeslandes hat knapp 80 Mitglieder, plus Familien.

Gehört der Zirkus auch dazu?
Ja, es heißt ja Circus- und Schaustellerseelsorge. Da wird es aber noch unübersichtlicher, weil Zirkusleute eine Postadresse haben, aber eben immer auf Reisen sind. Und nach meinem Eindruck ist das Winterquartier auch variabel. Die Schaustellerfamilien in MV haben zwischen Weihnachten und Ostern ein festes Zuhause.

Wer gehört in Ihre besondere Gemeinde?
Artisten in Zirkussen, Schausteller mit ihren Fahr- und Spielgeschäften, Zucker- und Schießbuden, Ausschank- und Imbissbuden, die auf Volksfesten und Jahrmärkten zu finden sind, Puppenspieler mit ihren reisenden Bühnen… Alle, die bei Volksfesten zu finden sind oder auf dem Weihnachts-, Oster – und Pfingstsmarkt. Ich würde sagen, alle außer die Händler, obwohl da manchmal auch die Grenzen fließend sind.


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Wie sind Sie zu dieser Beauftragung gekommen?
Ich habe dieses Arbeitsfeld von meinem Vorgänger geerbt. Es hat mit St. Marien zu tun. Die Schausteller fühlen sich der Kirche sehr verbunden, denn die Kirmes ist der Anlass, warum es das „fahrende Volk“ anfangs gab. Wenn Kirchweih oder eben Kirmes war, wurde um die Kirche gefeiert mit Jahrmarkt und Kirmesvergnügen.

Die Schausteller ziehen durch das ganze Land, nicht nur durch unser Bundesland. Aus anderen kommen welche zu uns auf die Märkte. Mit wem konkret haben Sie es denn zu tun?
Zuallererst über den Schaustellerverband in MV und den Vorsitzenden Lothar Welte. Wir treffen uns unregelmäßig oder telefonieren. Während der Corona-Einschränkungen hatten wir viel Kontakt, denn es galt, herauszufinden, wie Notlagen gemildert werden könnten. Die Schausteller waren davon sehr betroffen. Wenn in Rostock Markt ist, was ja häufiger vorkommt, besuche ich mit dem Verbandsvorsitzenden oder auch mal allein die Leute und frage, wie es ihnen geht. Da ist es dann auch egal, ob es Leute aus MV sind oder woanders her. Im Grunde gilt für Schausteller und noch stärker für Zirkusfamilien: In dem Moment, wo sie in MV sind, bin ich zuständig. Das wissen die Leute auch.

Wo findet man Sie in dieser Aufgabe?
Bei Gottesdiensten auf dem Autoscooter, bei Taufen in Zirkuszelten, bei Treffen des Schaustellerverbandes, auf den Märkten in Rostock, aber auch mal auf Märkten anderer Orte von MV oder im Zirkuszelt in Rerik, oder oder.

Taufen, Konfirmationen, Hochzeiten, Beerdigungen – werden Sie da gebeten?
Ungefähr zwei Mal im Jahr gibt es eine Taufe. Konfirmationen hatten wir auch schon. Da gibt es vorher ein paar Mal ein Gespräch, keinen längeren Konfi-Unterricht. Bei reisenden Gemeindemitgliedern ist das eben so. Beerdigungen hatte ich noch nicht. Kann aber passieren. Diese Arbeit ist eine aufsuchende Arbeit. Schausteller und Zirkusleute sind kirchlich, aber alles, was sie brauchen, findet bei ihnen statt.

Inwieweit waren Sie während der Corona-Pandemie in die existenziellen Sorgen einbezogen?
Wir haben gemeinsam überlegt, wie und wo welche Anträge gestellt werden müssen, wer Hilfe bei Anträgen braucht. Ich habe mit dafür gekämpft, dass Märkte stattfinden können, weil die Hygienekonzepte viel besser und sicherer waren, als die mancher Ladenbesitzer. Es war viel Lobbyarbeit nötig und Sensibilisierung dafür, dass es für Zirkus- und Schaustellermenschen echt schwieriger war als für manch andere Sparte. Die Schausteller sind aber ziemliche Überlebenskünstler und auch unglaublich kreativ gewesen, sich Arbeit und Beschäftigung zu suchen. Zirkusfamilien waren, schon weil sie nicht verbandsmäßig organisiert sind und familienweise eher für sich, abgehängter. Die Rostocker Innenstadtgemeinde weiß, dass die Zirkus- und Schaustellerseelsorge ein Teil der Gemeindearbeit ist und hat mit Spenden und Kollekten die Familien unterstützt.