Ein Zeichen gegen Ausgrenzung

Vor 30 Jahren wurde in Hamburg der erste Aids-Gottesdienst gefeiert – mit politischer Prominenz. Inzwischen kommen immer weniger Besucher in die Aids-Gottesdienste. Warum das ein gutes Zeichen  ist.

Die rote Schleife gilt weltweit als Symbol der Solidarität mit HIV-Infizierten
Die rote Schleife gilt weltweit als Symbol der Solidarität mit HIV-InfiziertenLightfield Studios / Fotolia

Hamburg. Es war ein starkes Signal: Der erste Aids-Gottesdienst in Hamburg am 12. Juli 1992 zog viele Menschen in die evangelische Hauptkirche St. Katharinen, darunter auch die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU). „Dieser Gottesdienst gehörte zu den ersten Aids-Gottesdiensten bundesweit“, sagte der Hamburger Historiker Gottfried Lorenz dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er stand unter dem Motto „Celebrate your life“ (deutsch: Feier dein Leben) und galt als Zeichen gegen die Ausgrenzung von HIV-Infizierten. Der Wein wurde beim Abendmahl aus einem Gemeinschaftskelch getrunken.

Zwei Jahre später etablierte sich ein regelmäßiger Aids-Gottesdienst in der evangelischen Dreieinigkeitskirche St. Georg, immer am letzten Sonntag im Monat um 18 Uhr. Anfangs besuchten 200 Menschen den Gottesdienst. Über die Jahre nahm die Besucherzahl rapide ab. Aids-Pastor Thomas Lienau-Becker predigt inzwischen nur noch vor 20 bis 40 Menschen. Dabei leben in Hamburg 7.600 Menschen mit HIV.

Warum Infizierte damals kamen

Über den geringen Zulauf ist der Pastor teilweise froh. Oft habe die Angst die Betroffenen damals in die Kirche getrieben. „Die Aids-Kranken wollten wissen, ob jemand wieder an dem HI-Virus gestorben ist“, so der Seelsorger.

Aids-Pastor Thomas Lienau-Becker Foto: Timo Teggatz
Aids-Pastor Thomas Lienau-Becker Foto: Timo Teggatz

Anfang der 1980er-Jahre glich eine Aids-Diagnose einem Todesurteil. Die Erkrankten starben innerhalb weniger Jahre. In der Öffentlichkeit galten Schwule allgemein als Verursacher der „Katastrophe“ und wurden zu Ausgestoßenen, sagte Lorenz. Viele Geistliche hätten die These vertreten, dass Aids eine verdiente Strafe Gottes für unmoralisches Verhalten sei. Friedhöfe weigerten sich oftmals, an Aids gestorbene Menschen beizusetzen.

1983 und 1984 gründeten sich in Berlin und Hamburg die ersten Aids-Hilfen. Auch in der Kirche gab es eine Gegenbewegung. Mitte der 1980er-Jahre gründete sich an der evangelischen Hauptkirche St. Petri in Hamburg eine Beratungsstelle für HIV-Positive. 1994 wurde Rainer Jarchow in Hamburg bundesweit der erste evangelische Aids-Seelsorger. Jarchow ist längst im Ruhestand, 2018 übernahm Lienau-Becker das Amt.

Heute reichen zwei Tabletten

1996 kamen die ersten wirksamen Medikamente auf den Markt. Heute reichen ein oder zwei Tabletten pro Tag, damit HIV-Positive auf eine normale Lebenserwartung hoffen können. In Deutschland seien oftmals schwule Männer betroffen, die sich durch ungeschützten Sex anstecken, so Lienau-Becker. Übertragbar ist das Virus auch übers Blut, etwa durch infizierte Kanülen bei intravenösem Drogenkonsum.

Einmal im Monat wird in der St. Georgskirche nahe dem Hamburger Hauptbahnhof der Aidsgottesdienst gefeiert
Einmal im Monat wird in der St. Georgskirche nahe dem Hamburger Hauptbahnhof der Aidsgottesdienst gefeiertPrivat

Stigmatisierung und mangelnde Aufklärung begegnen Lienau-Becker in der Aids-Seelsorge auch heute noch. Aids-Kranke mit afrikanischen Wurzeln seien besonders von Ausgrenzung betroffen, von ihrer Familie würden sie gar verstoßen, sagte der Pastor. Oft seien es Frauen, die von infizierten Männern angesteckt wurden. Wenn sie Hilfe, etwa in sozialen Angelegenheiten brauchen, wenden sie sich an Lienau-Becker und sein Team. Sie trauten sich nicht, ihrer Familie von ihrer Krankheit zu erzählen, durch die sie vielleicht nicht mehr so leistungsfähig sind.

Neben seelsorgerlichen Gesprächen bietet Lienau-Becker auch Trauungen, Beerdigungen, Taufen und eben die Aids-Gottesdienste an. Sein jüngster Gottesdienst Ende Juni hatte das Thema „Zicken. Tucken. Dramaqueens“. Die Eitelkeit in der Szene sei groß, sagt der Pastor. Hinzu komme, dass viele im Alltag schlechte Erfahrungen mit ihrer sexuellen Orientierung gemacht hätten. „Viele Schwule sind verletzt und dünnhäutig. Sie wappnen sich mit einer scharfen Zunge.“

„Wir müssen weiter arbeiten“

In den vergangenen Jahren habe sich der Umgang mit Schwulen und Lesben zwar schon verändert. „An der Akzeptanz sexueller Vielfalt müssen wir aber weiter arbeiten“, so Lienau-Becker. Denn nur wer seine Sexualität aufrecht leben dürfe, achte auch auf seine Gesundheit. (epd)