„Ein Stich ins Herz“

Für die christlich-orthodoxe Welt sei die Hagia Sophia immer noch wichtig, sagt der Osnabrücker Islamwissenschaftler Rauf Ceylan. Doch der Schritt habe ihn nicht überrascht.

Blick auf die Hagia Sophia mit Springbrunnen im Sultan Ahmed Park
Blick auf die Hagia Sophia mit Springbrunnen im Sultan Ahmed ParkMara Brandl / Image Broker

Osnabrück. Der Osnabrücker Islamexperte Rauf Ceylan hat die geplante Umwandlung der Istanbuler Hagia Sophia von einem Museum in eine Moschee scharf kritisiert. Die Entscheidung sei ein historischer Fehler und auch in theologischer Hinsicht fragwürdig, sagte Ceylan dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Christliche Gotteshäuser sind im Islam geschützt. Für die christlich-orthodoxe Welt ist die Hagia Sophia immer noch wichtig. Tausende Gläubige pilgern jedes Jahr dorthin. Das ist ein Stich ins Herz der orthodoxen Welt.“

Allerdings habe ihn der Schritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht überrascht, betonte Ceylan. Türkisch-nationalistische und rechtskonservative Kreise forderten die Umwandlung zur Moschee bereits seit Jahrzehnten. Ihnen sei das Museum seit dessen Gründung in den 1930er Jahren ein Dorn im Auge gewesen. Denn es stehe für den von Kemal Atatürk (1881-1938) vertretenen Laizismus, also die strikte Trennung von Kirche und Staat.

Belastung für christlich-muslimischen Dialog

Rein funktional sei die Entscheidung Erdogans nicht nachvollziehbar, sagte der stellvertretende Leiter des Instituts für Islamische Theologie der Universität Osnabrück. „Niemand braucht diese Moschee. Direkt gegenüber befindet sich die Blaue Moschee.“ Zudem habe auch die Hagia Sophia Räume, die für muslimische Gebete offen stehen. Ceylan befürchtet, dass Erdogans Anweisung den Dialog von Muslimen und Christen in Deutschland belasten könnte. „Das ist Wasser auf die Mühlen der Moscheekritiker hierzulande.“

Der Religionssoziologe sieht allerdings kaum eine Chance, dass Erdogan seine Entscheidung rückgängig macht. Sogar eine bereits ins Spiel gebrachte Kompromisslösung, die Hagia Sophia freitags für Muslime und sonntags für Christen zu öffnen, halte er für wenig wahrscheinlich: „Das wird Erdogan nicht zulassen.“

Viel Kritik

Auf die Hagia Sophia erheben Christen wie Muslime gleichermaßen Anspruch. Sie wurde als „Kirche der göttlichen Weisheit“ im Jahr 537 geweiht und war fast ein Jahrtausend lang die christliche Hauptkirche Konstantinopels. Als die Osmanen 1453 die Stadt eroberten, wurde sie zur Moschee umfunktioniert. In den 1930er Jahren wandelte Atatürk sie in ein Museum um – dieser Beschluss wurde am vergangenen Freitag mit einem Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts der Türkei annulliert. Daraufhin gab es viel Kritik. (epd)

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