Ein soziales Netz

Über Heimat und Familie schreibt Steffen Kühnelt. Er ist Pastor der Johannes-Gemeinde in Hamburg-Rissen.

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Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ aus Markus 3, 31–35

Kaum etwas ist Menschen so heilig wie Familie, und familiäres Glück bedeutet für viele Sinn und Ziel im Leben. Familie bleibt ein Sehnsuchtsort, und doch wächst die Zahl der Singlehaushalte. Auch wenn die familiären Realitäten und Optionen glücklicherweise vielfältig sind von „Patchwork“ bis „Regenbogen“: Angesichts gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, von Mobilität, digitalen Welten und der persönlichen Freiheit, das eigene Leben konventionslos zu gestalten, mag es heute schwer sein, Familie zu leben.

Die familiäre Konvention in biblischer Zeit war die Solidarität im Clan, die Verantwortung für die Sicherheit und das materielle Wohlergehen der Großfamilie. Eine Frau musste Mutter werden, ein Sohn die alten Eltern versorgen. Sich seiner Familie zu entziehen, war pflichtvergessen und sogar gefährlich. Diesen Konflikt (ein Skandal!) provoziert Jesus, wenn er Maria samt seinen Geschwistern, die den „Verrückten“ in den Familienkreis zurückholen wollen, vor der Tür stehen lässt und fragt: „Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder?“ Jesus hat sich seine Verwandtschaft gewählt: Es sind die, in deren Mitte er sitzt und die seiner Gegenwart und seines Zuspruchs bedürfen. Menschen, die verachtet und verlassen sind; die er aufsucht und die ihm nachfolgen. Sie sind Familie in einem neuen Sinn. Um Jesus bildet sich vielleicht das, was heute eine „Caring-Community“ genannt wird. Ein neues soziales Netz, das an die Stelle eines alten brüchigen tritt. Eine Gemeinschaft von Fürsorge und Loyalität, von geschwisterlicher Liebe.

Wenn klassische Familienstrukturen nicht mehr funktionieren, wenn Großeltern fehlen, weil Kinder und Enkel weit weg wohnen, wenn (nicht nur) ältere Menschen drohen zu vereinsamen, dann kann es auch eine Aufgabe von Kirche sein, als christliche Gemeinde eine Gemeinwesen- und Quartiersarbeit auf die Beine zu stellen, die das bietet, was Familie bieten kann: Menschen, die zueinander gehören, die selbstverständlich füreinander da sind – Heimat in einer unübersichtlichen Welt..

Unser Autor
Steffen Kühnelt ist Pastor in der Johannes-Kirchengemeinde Hamburg-Rissen.

Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.