Ein religiöser Rebell

Von blutiger Passion, religiöser Erleuchtung und radikaler Erneuerung: Filme über Jesus haben seit mehr als 100 Jahren Konjunktur – nicht nur zu Ostern.

Willem Dafoe als Jesus, in einer Szene aus dem Film "Die letzte Versuchung Christi"
Willem Dafoe als Jesus, in einer Szene aus dem Film "Die letzte Versuchung Christi"Keystone

Frankfurt a.M. Jesus als erhabener Gottessohn oder als Einsamer in der Wüste: Das Kino hat das Leben und Sterben Christi immer wieder neu erzählt. Dabei ging es stets auch darum, ob den Figuren eine natürliche, freie Ausdrucksform erlaubt sein darf – oder ob sie im Repertoire des Andächtigen und Unirdischen bleiben müssen.

Die neuesten Jesusfilme versuchen dabei überraschende Perspektivwechsel. „40 Tage in der Wüste“ von Rodrigo Garcia (2015) verzichtet auf Krippe und Kreuz und konzentriert sich allein auf die titelgebende existenzielle Einsamkeitserfahrung, in der Jesus nicht dem Satan, sondern sich selbst als Versucher begegnet. Und „Maria Magdalena“ von Garth Davis (2018) zeigt die Welt der Evangelien aus weiblicher Sicht. Er wertet die jahrhundertelang als Hure gezeichnete Maria Magdalena um zu einer Apostolin, die Jesus besser versteht als die Männer.

Zum Aufstand entschlossen

Lange hatte sich zu Beginn der Filmgeschichte der Bann der Tradition gehalten. Sydney Olcotts „Von der Krippe zum Kreuz“ von 1912 reiht die vertrauten Szenen des Lebens Jesu von der Verkündigung bis zur Auferstehung aneinander und stützt sich dabei in den Zwischentiteln auf die Evangelien, mit Kapitel- und Versangabe. Vor allem mit Cecil B. DeMilles „König der Könige“ von 1927 wuchs diese Tradition szenisch ins Monumentale. 800 Millionen Zuschauer, erklärte DeMille selbst, sollen den Film gesehen haben. Er wurde nicht nur in den Kinos, sondern auch in Kirchen gezeigt. Selbst wenn die Zahl übertrieben war, so gingen doch Bibelfrömmigkeit und Kino nie wieder eine vergleichbar erfolgreiche Geschäftsverbindung ein.

Nicholas Rays „König der Könige“ von 1960 trägt zwar den gleichen Titel, löst sich jedoch vom vorgegebenen Rahmen und erzählt die Geschichte eines auf Befreiung hoffenden jüdischen Volkes, das von den Römern versklavt wurde. Jesus ist hier ein radikal pazifistischer religiöser Rebell. Auf der anderen Seite steht ein zum politischen Aufstand entschlossener Barabbas, der zum Anführer einer antirömischen Revolte umgedeutet wird. Und zwischen ihnen: ein innerlich zerrissener Judas.

Einen Jesus, der ganz entrückt und übermenschlich ist, zeigte 1963 „Die größte Geschichte aller Zeiten“ von George Stevens, länger als drei Stunden, mit Max von Sydow als Jesus. Das Werk wurde zu einem der größten finanziellen Misserfolge der Filmindustrie.

Staunende Verehrung

Es ist der italienische Schriftsteller, Intellektuelle und Regisseur Pier Paolo Pasolini, der den Jesusfilm ein Jahr später neu denkt: 1964 erscheint „Das 1. Evangelium – Matthäus“, eine ästhetische und politische Befreiung. Gedreht in einer vormodern gebliebenen Region Italiens, mit Laiendarstellern besetzt und strikt orientiert am Wortlaut des Matthäus-Evangeliums, verleiht er der Erzählung eine Präsenz und Dringlichkeit, die Maßstäbe gesetzt hat.

Er zeichnet einen Jesus, der aus religiöser Erleuchtung die Menschen zur Umkehr aufruft, alle sozialen Konventionen ignoriert. Der provozierende Wanderprediger Jesus, auch der Erniedrigte und Gekreuzigte stehen Pasolini näher als der Erlöser und auferstandene Gottessohn. Dennoch unterschlägt er nichts, auch nicht den Wunderheiler, der das Volk zu staunender Verehrung bringt.

Parodie auf Pathos

Nach Pasolini wandert der Traditionalismus in Fernsehproduktionen, das Kino erlaubt sich Abweichungen, Umdeutungen und Erfindungen. Wie Monty Pythons „Das Leben des Brian“ (1979), eine Parodie auf Kitsch und Pathos seiner Vorgänger. Oder Martin Scorsese in „Die letzte Versuchung Christi“ (1988), nach einem Roman von Nikos Kazantzakis, in dem Jesus vom Kreuz herabsteigt und ein Familienleben mit Maria Magdalena beginnt – was sich zuletzt als eine Vision des Gekreuzigten erweist. In den Abgründen von Gewalt- und Schreckensfantasien verliert sich schließlich „Die Passion Christi“ von Mel Gibson (2004), der die Qualen Jesu unter Folter und Kreuzigung in blutiger Breite ausmalt.

Die radikalste Neudeutung stammt von einem französischen Regisseur aus muslimischen Milieu: „Der Fall Judas“ von Rabah Ameur-Zaïmeche (2015). Darin zerstört Judas auf Jesu Geheiß die schriftlichen Aufzeichnungen, die eine misstrauische Obrigkeit über den verdächtigen Prediger anfertigen ließ und kommt dabei selbst fast um. Misstraut der Schrift, sagt dieser Film, wenn ihr eine andere Welt wollt. Folgt nicht den Dogmen, die ihre Hüter auf ihr errichtet haben. Oder den Bildern, die sich auf sie berufen. (epd)