Ein Landarzt aus Überzeugung

Maciej Tomtala arbeitet als Landarzt in der Wesermarsch – und das entgegen dem Trend. Laut einer Studie wird es 2035 in fast 40 Prozent der deutschen Landkreise zu wenig Hausärzte geben.

Landarzt Maciej Tomtala, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, in seiner Arztpraxis in Schwei.
Landarzt Maciej Tomtala, Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie, in seiner Arztpraxis in Schwei.epd/Jens Schulze

Schwei, Lkr. Wesermarsch. Rush-Hour im Dorfidyll: Am Rande des 600-Seelen-Ortes Schwei in der niedersächsischen Wesermarsch biegen Autofahrer, Radler und Fußgänger in einen schmalen Weg kurz vor dem Ortsausgang ein. „Arzt“ steht unter dem Straßenschild. Die Menschen heben die Hand zum Gruß, nicken freundlich: „Moin!“, „Wie geht’s?“. Man kennt sich hier. Alle wollen noch schnell zum „Doktor“ – denn sie wissen: Um elf Uhr schließt Maciej Tomtala seine Sprechstunde. Dann hat er eine Stunde Pause, bevor er zu seinen Hausbesuchen aufbricht.

Vor zweieinhalb Jahren hat der 50-jährige gebürtige Pole die Praxis von seinem Vorgänger übernommen. Es ist eine Landarztpraxis wie im Bilderbuch. Das reetgedeckte Fachwerkhaus ist von Kastanienbäumen gesäumt. Wer aus den Fenstern des Behandlungsraums blickt, verliert sich im endlosen Grün der Wesermarsch. In der Ferne weiden braune Kühe, noch weiter entfernt verschwimmen Windräder mit dem Horizont.

Am Nachmittag packt der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie die Arzttasche und setzt sich ins Auto, um jenen Patienten einen Hausbesuch abzustatten, die nicht mehr zu ihm kommen können. Tomtala liebt sein Leben als Landarzt. Fast 2.000 Patientinnen und Patienten betreut er im Quartal. „Wenn man fleißig ist, kann man gut verdienen“, sagt er.

Tomtalas Enthusiasmus teilen nicht viele seiner Kollegen

Nach Angaben der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) wird die Zahl der Hausärzte von heute rund 5.200 bis zum Jahr 2035 auf 3.750 sinken. 2004 gab es noch fast 6.000. Besonders betroffen von dem Ärztemangel sind ländliche Gebiete. „Die Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung wird immer schwerer“, sagt KVN-Sprecher Detlef Haffke.

In ganz Deutschland ist die Lage gravierend. Eine Studie der Robert-Bosch-Stiftung von 2021 ergab: Fast 40 Prozent der deutschen Landkreise droht bis 2035 eine Unterversorgung mit Hausärzten. In einigen Landkreisen geht die Zahl der Prognose nach um 50 Prozent zurück. Dann wären bundesweit 11.000 Stellen unbesetzt. Neben Niedersachsen seien besonders Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Baden-Württemberg betroffen. Und das Problem treffe nicht nur das Land, sondern zunehmend auch mittelgroße Städte.

 

Für diese Entwicklung gibt es mehrere Gründe: Zum einen gehen viele Hausärzte in Rente – laut der Studie deutschlandweit fast 30.000. Jeder fünfte Arzt stehe vor dem Ruhestand, unterstrich Bundesärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt jüngst beim Deutschen Ärztetag in Bremen. Da helfe auch nicht, dass die Zahl der Ärzte in letzter Zeit leicht gestiegen sei. Das reiche bei der alternden deutschen Gesellschaft bei Weitem nicht aus.

Die Bundesärztekammer fordert deshalb umgehend, rund 6.000 zusätzliche Medizinstudienplätze zu schaffen. Ob es die Nachwuchsmediziner, die ohnehin frühestens in zwölf Jahren in der Versorgung ankommen, dann auf das Land ziehen wird, ist allerdings fraglich. Der Robert-Bosch-Studie zufolge legen gerade junge Ärzte mehr Wert auf die Work-Life-Balance, viele bevorzugen das Angestelltenverhältnis, feste Dienstzeiten, Teilzeitmodelle, pünktlichen Feierabend – und Teamarbeit, statt allein eine Praxis zu verantworten.

Tomtala hat sich bewusst für die eigene Landarztpraxis entschieden

„Ich bin mein eigener Herr – das ist wunderbar“, sagt er. Anderthalb Jahre war der dreifache Vater Chefarzt in der Helios Klinik Wesermarsch in Nordenham. „So eine Konzernklinik ist nichts für mich“, sagt er. Immer sei es nur um Wirtschaftlichkeit gegangen, die Menschlichkeit zu kurz gekommen. „Ich möchte Zeit für meine Patienten haben.“

Darüber freut sich die ältere Dame, die heute als erstes auf Tomtalas Hausbesuchsliste steht. Sie lebt auf einem Hof in der Bauernschaft Schweieraußendeich, wenige Kilometer von Tomtalas Praxis entfernt. Sie ist geh- und sehbehindert und froh, dass der Arzt zu ihr nach Hause kommt. Für den „Onkel Doktor“, wie sie Tomtala liebevoll nennt, hat sie alles vorbereitet. Die Krankenkassenkarte liegt auf dem Couchtisch. Tomtala setzt sich zu ihr, klappt seinen Laptop auf und lächelt. „Wie geht‘s?“, fragt er. „Ich kann nicht klagen“, sagt die Frau. Ihr Blutdruck ist gut. „Den hätte ich auch gern“, scherzt Tomtala. „Na dann, maak good.“ Die Frau lacht. „Der Doktor ist prima, der kann sogar schon platt.“

Ein offenes Ohr haben, Zeit für einen Schnack: Tomtala weiß, dass das wichtig ist. „Das haben mir meine Arzthelferinnen beigebracht“, sagt er und lacht. Petra Schomaker ist eine von ihnen. Sie hat schon für Tomtalas Vorgänger gearbeitet und kennt manche Patienten seit 30 Jahren. „Man muss die Leute zu nehmen wissen“, sagt sie. Männer zum Beispiel gingen oft ungern zum Arzt. „Da kommt dann die Frau und sagt: ‚Meinem Hermann geht’s nicht gut‘.“

Lösungsvorschläge für den Hausarztmangel gibt es viele: Die geforderte Aufstockung der Studienplätze, Telemedizin, regionale Gesundheitszentren, mobile Teams, eine Landarztquote, die das Medizinstudium auch ohne Abi-Traumnote ermöglicht. Tomtala sieht diese Vorschläge positiv. Aber eines, sagt er, bleibe das Wichtigste: „Man muss den Beruf und die Patienten mögen.“