Ein Hoch auf unseren Lieblingstag

Kleine Geschichten, Mutmachtexte, Denkexperimente – der Kalender der Hamburger Susanne Niemeyer und Matthias Lemme bietet „Luft nach oben“ und jeden Sonntag eine Praline für die Seele.

Matthias Lemme und Susanne Niemeyer zeigen ihren Kalender
Matthias Lemme und Susanne Niemeyer zeigen ihren KalenderChristine Senkbeil

„Jeder Tag hat das Recht auf Unvergesslichkeit.“ Dieser Satz steht auf der Kalenderseite, die, so hoffe ich, an meinem nächsten Geburtstag aufgeschlagen sein wird. Ein Tag im Juli wird es sein, wie immer. Ein Papierschiffchen schwabbert auf dem Bild dazu auf sonnenglitzernder See. Und schon passiert es: Meine Gedanken stechen für einen Augenblick mit in See. Ich fühle die Sonne auf der Haut, höre das kleine Plätschern, und plötzlich merke ich, dass ich lächele…

Momente wie diesen verschenkt der neue Kalender von Matthias Lemme und Susanne Niemeyer genau 52 Mal – immer wieder sonntags, jede Woche neu. 52 Seiten mit überraschenden Geschichten, Mutmach­texten und Denkexperimenten.

Papierschiffchen im Alltagsstress

Und alles, um den Sonntag einmal wieder so richtig zu würdigen – den Tag, der, wie mein Papierschiffchen, noch nicht untergegangen ist im Alltagsstress. Eine letzte Bastion zwischen Körben mit Wäsche, der Steuererklärung und einer Runde Netflix, wie die beiden beschreiben. Doch auch dieses Papierschiffchen läuft stets Gefahr zu sinken. „Es fällt vielen schwerer, den Sonntag herauszuheben und besonders zu machen“, sagt Matthias Lemme, der in Hamburg-Ottensen Pastor ist. Sonntage hätten sich den anderen Tagen immer mehr angeglichen. Dabei ist er doch unser aller Lieblingstag, der Sonntag. „Eine Riesenchance“, so Lemme.

Der Kalender hat es unserer Autorin Christine Senkbeil angetan Foto: Studioline
Der Kalender hat es unserer Autorin Christine Senkbeil angetan Foto: Studioline

„Der Sonntag ist ein Tag mit weißer Tischdecke“, findet die Co-Autorin des Kalenders – dessen Cover weiße Wolken zeigt, in die sich zwei Beine mit gelben Gummistiefeln hineinrecken. „Muss nicht gebügelt sein, aber deckt alle To-do-Listen zu. Sonntags darf man einfach sein und sich daran erinnern, was das Leben lebenswert macht: Sonntags kann man Pläne schmieden, Mittagsschlaf machen, in dicken Büchern versinken, die Zukunft rosa färben.“

Es fing also damit an, dass die beiden Sonntage lieben. „Sonntags buchstabieren wir Freiheit.“ Und so saßen sie vor zwei Jahren zum ersten Mal zusammen, buchstabierten alte Texte und dachten über schöne Bilder nach – über neue Geschichten, die in so einem Sonntagskalender erzählt werden könnten. Inzwischen geht der Sonntagskalender ins dritte Jahr, sozusagen als Bruder des Adventskalenders „Stille Post“, der aus dem gleichen Labor stammt. Und es fällt der Autorin und dem Pastor dann nach wie vor so einiges ein.

Einfach mal losziehen!

„Das geht auch deswegen so gut, weil wir uns die Welt angucken und uns darüber austauschen. Das ist besser, als mit sich selbst allein rumzugrübeln.“ Viele Bilder machen sie selbst. Und Beobachtungen. Bei ihren Rundzügen durch die Stadt etwa.„Ich ziehe einfach los“, sagt Susanne Niemeyer. „Nicht unbedingt die schönste Route, denn da sind alle. Einfach der Nase nach durch Straßen, in Stadtviertel, in die ich sonst nie komme. Ich halte die Augen offen und mache immer kleine Entdeckungen: Batman neben einer Madonna im Fenster. Schriftzüge aus vergangenen Zeiten. Ein verwunschener Friedhof. Bratengeruch, der sich mit Falafel mischt. Und wenn ich nach Hause komme, ist meine Welt wieder weiter.“

Die kleinen, wunderbar bebilderten Denkanstöße machen Spaß und verleiten mich dazu, die Welt mit anderen Augen zu betrachten. „Die Bilder öffnen die Türen zu den Texten“, sagt Matthias Lemme. Darum verwenden sie viel Arbeit darauf, sie selbst zu machen oder in Bilddatenbanken zu finden. „Und dann gib es ja noch Illustrationen von Ariane Camus, da tragen wir ein paar Ideen zusammen; und dann zaubert die was sehr Schönes draus.“

"Luft nach oben" – so sieht der Kalender aus
"Luft nach oben" – so sieht der Kalender ausPrivat

Damit diese kleinen Kunstwerke dann noch weiter in die Welt hinauskommen, sind zwölf der Kalenderblätter gleichzeitig eine Postkarte, die verschickt werden kannn. Zum Teilen, was gerade wichtig ist. Sonntagsgrüße, Wasserstandsmeldungen, Lebenszeichen.

„Ein Hoch auf unseren Lieblingstag“ ist dieser Kalender. Denn hier werden die Tage nicht nur so „abgerissen“ – sondern nur jeweils eine neue Woche feierlich umgeschlagen: Und soviel Zeit hat wohl jede und jeder – denn es ist ja Sonntag.

Lust auf Sommer

„Der Sonntag stellt Fragen, für die ich sonst nie Zeit habe“, sagt Susanne Niemeyer. „Wofür ich lebe. Was mich glücklich macht. Was ich der Welt geben will. Ob Himbeeren was mit Himmel zu tun haben.“ Und genau diese greift der Kalender auf. „Einmal in der Woche Luft holen und mehr für möglich halten“, so ihre Devise. Oder, wie Matthias Lemme es formuliert: „Nach den Fußabdrücken von Gott zu suchen – das kann den Blick auf das eigene Leben klüger und heiler machen.“

Mir macht der Kalender nicht nur Lust auf Sommer und Geburtstag, sondern auf das ganze Jahr. Auf jeden einzelnen dieser Tage, die das „Recht auf Unvergesslichkeit“ haben. Und schon vor meinem nächsten Geburtstag werde ich mir die Frage dieses Juli-Kalenderblattes stellen: „Was legst du heute Abend hinein in die Streichholzschachtel deiner Erinnerungen?“

Tipp
Den Kalender können Sie hier bestellen.
Die Evangelische Bücherstube gehört zur Evangelischen Zeitung.

Matthias Lemme und Susanne Niemeyer:
Luft nach oben 2022. Der Sonntagskalender.
59 Seiten, 22,4 x 13 cm, Froschaufsteller, 18 Euro­.