Aufstieg, Abstieg – und wieder Aufstieg? Eine Doku-Reihe arbeitet die Geschichte deutscher Fußball-Traditionsclubs auf. Beim 1. FC Kaiserslautern gelingt das sehr emotional und doch ausgewogen – mit einer Leerstelle.
Dokus über Fußball sind in Deutschland wahrlich keine Seltenheit. Und auch dem Geheimnis des 1. FC Kaiserslautern versuchten schon so einige, filmisch auf die Spur zu kommen. Weil die Fans des Pfälzer Fußballclubs aber tendenziell noch ein bisschen treuer und noch ein bisschen fanatischer sind, dürften sie der ARD auch ihren neuesten Streich, den Dreiteiler “Rise & Fall of 1. FC Kaiserslautern”, wieder dankbar aus den Händen reißen.
Die Doku-Serie ist Teil einer größeren Fußball-Offensive der ARD, mit der zunächst neben dem 1. FC Kaiserslautern noch der VfB Stuttgart und der TSV 1860 München vorgestellt werden. Weitere Traditionsvereine sollen folgen.
Aufsehenerregende neue Erkenntnisse bieten die drei Folgen über die Roten Teufel zwar nicht. Und doch gelingt es den Machern Henrik Diekert und Marius Zimmermann, Geschichten aus der Vereinsgeschichte auszubuddeln, die so unglaublich, so unwahrscheinlich und so spektakulär sind, dass sie es wert sind, immer wieder erzählt zu werden.
Da ist natürlich in allererster Linie die sensationelle Meisterschaft 1998. Regelmäßig wird ja betont, dass das, was dem 1. FC Kaiserslautern damals gelungen ist, heute undenkbar wäre. Das stimmt sicher. Doch eigentlich war es auch damals schon unfassbar, dass ein kleiner Provinzclub 1996 erstmals in die Zweite Liga absteigt, wenige Tage später den DFB-Pokal gewinnt, mit Trainerlegende Otto Rehagel direkt wieder aufsteigt und dann mal eben die Deutsche Meisterschaft abräumt. Unglaublich, spektakulär – und für den Club dennoch der Anfang vom Ende.
Denn wie der Titel schon verrät: Es steht nicht unbedingt gut um die großen Traditionsclubs im deutschen Männerfußball. Sie verschaffen der Zweiten Liga und auch den Spielklassen darunter Rekorde bei den Zuschauerzahlen, aber im sportlichen und im finanziellen Bereich können ehemalige Erstligisten wie der 1. FC Kaiserslautern, Schalke 04, Alemannia Aachen und auch viele Ostclubs wie Dynamo Dresden, Energie Cottbus oder der 1. FC Magdeburg schon länger nicht mehr mithalten.
Die Gründe für diesen Klassenunterschied liegen im System Bundesliga, aber auch in individuellen Fehlern bei der Führung der Vereine – auch beim 1. FC Kaiserslautern. Und die arbeitet die Doku ausführlich auf.
Größenwahn, Selbstüberschätzung und krumme Geschäfte führten dazu, dass der Verein 2002 derart zerstritten war, dass kein geringerer als der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) die Mitgliederversammlung leiten musste, um zu verhindern, dass sich die Verantwortlichen gegenseitig an die Gurgel gehen.
Auf der anderen Seite war es auch jener Kurt Beck, der sein Bundesland als Standort für die Fußball-WM 2006 ins Rennen schicken wollte und zuließ, dass der Verein sich für den Ausbau des Fritz-Walter-Stadions rettungslos verschuldete.
Es ist ein großer Verdienst von “Rise & Fall”, dass es dem Film gelingt, die wilde Geschichte der 1990er und 2000er Jahre mit der Emotionalität in Verbindung zu bringen, die den Club seit jeher umweht. Wie wichtig er für die Pfalz ist, ist mittlerweile fast zur Floskel geworden. Da ist aber natürlich auch was dran: Wer weiß, was der WM-Sieg 1954 für die junge Bundesrepublik bedeutet hat, kann sich in etwa ausmalen, was er für Kaiserslautern und die Pfalz bedeutete. Fünf Spieler stellten die Pfälzer für das Nationalteam, darunter den legendenumwitterten Kapitän Fritz Walter.
Generationen von Kindern in der Pfalz lernen bis heute durch Walters Geschichte Werte wie Bescheidenheit, Teamgeist und vor allem Loyalität. Fußballreporterlegende Marcel Reif, in Kaiserslautern aufgewachsen und in seiner Jugend selbst Spieler im Dress des FCK, drückt es so aus: “Es ist geradezu beängstigend, wie wichtig und bedeutend ein Fußballclub für Menschen sein kann.”
Und so sieht man in den drei Folgen der Doku mehr Männer weinen als sonst in einem ganzen Fernsehjahr. Vereinspräsident Norbert Thines an der Schulter von Kurt Beck, Andi Brehme in den Armen von Rudi Völler. Fans jeden Alters, wahlweise vor Glück oder vor unermesslichem Schmerz. Und man sieht Anhänger, die den Pokalsieg im Mai 1990 auf der Skala der Wunder ganz selbstverständlich neben dem Mauerfall einige Monate zuvor einsortieren.
Man sieht 40.000 Fans zu einem Auswärtsspiel nach Köln reisen, um die Deutsche Meisterschaft 1991 zu feiern, und 50.000 Pfälzer 2024 auf dem Weg nach Berlin, als eine unterdurchschnittliche Zweitliga-Mannschaft gegen jede Wahrscheinlichkeit erneut das Pokalfinale erreichte und nur knapp am Deutschen Meister Bayer Leverkusen scheiterte. Denn auch die jüngste Geschichte des FCK wird in der Doku nicht ausgespart. Der Abstieg in die dritte Liga 2018, vier bittere Jahre, die Insolvenz in der Corona-Zeit und die Konsolidierung mit soliden, regionalen Investoren, die die Mannschaft zurück in Liga zwei führte, wo sie in der vergangenen Saison sogar um den Aufstieg in die Bundesliga mitspielte.
Eigentlich eine runde Sache, diese Doku. Wäre da nicht ein kleines Manko. Denn seit einigen Jahren kicken beim 1. FC Kaiserslautern nicht mehr nur die Herren der Schöpfung. Der Club hat inzwischen viele Mädchen- und Frauenteams, und im Stadion gehören Frauen auf der Tribüne ganz selbstverständlich zum Bild, da steht schon seit Jahrzehnten die Oma neben dem pyroschwenkenden Ultra – und nach einem Tor für die Roten Teufel liegen sie sich in den Armen. Doch in der Doku kommt die erste Frau, eine Pfälzer Weinkönigin, erst nach 24 Minuten zu Wort – und bleibt über alle drei Teile die einzige, die sich ausführlich äußert. Und auch, dass die kickenden Teufelinnen mit keiner Silbe erwähnt werden, ist in einer Fußballdoku des Jahres 2025, die auch die Zukunft in den Blick nimmt, nicht mehr zeitgemäß.