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Drama “Geliebte Köchin” inszeniert meisterhaft die Belle Epoque

Ein Hochgenuss – “Geliebte Köchin” zeigt alleine durch Blicke und Gesten eine tief gehende Liebe zwischen einem Gutsbesitzer, seiner Köchin und ihrer Kunst. Konflikte und Sozialkritik haben hier nichts verloren.

Ein plakativer Schnitt in dem Spielfilm “Geliebte Köchin” von Tran Anh Hung würde in jedem anderen Kontext wie eine Verdinglichung des Frauenkörpers wirken. Da hantiert ein Kochvirtuose zu später Stunde mit einem Glas glitschig-süß eingelegter Birnen. Er lässt einzelne Früchte behutsam in seine Hand gleiten, dreht und wendet sie und entscheidet sich dann für ein besonders elegant geschwungenes Exemplar, um es als Dessert anzurichten. Nach dem Schnitt präsentiert die hüllenlose Partnerin auf dem Bett ihre sanft geschwungene Rückenansicht, bereit, den Kochkünstler zu empfangen.

“The Taste of Things” lautet der internationale Titel des von dem vietnamesisch-französischen Regisseur Tran Anh Hung inszenierten Films, der sich lose an dem Roman “La vie et la passion de Dodin Bouffant, gourmet” von Marcel Rouff aus dem Jahr 1924 orientiert. Der Titel “Der Geschmack der Dinge” käme dem Festmahl auf der Leinwand dabei viel näher als der romantische Seufzer “Geliebte Köchin”.

Die Dinge, von denen “Geliebte Köchin” erzählt, werden allesamt geliebt, wobei sie wie die Liebe unerschöpflich scheinen. Unzufriedenheiten und Konflikte gibt es nicht, einen spannungsvollen Flow umso mehr. Den erzeugt Hung einzig durch den Rhythmus der Gesten und Handgriffe, der verstehend-lächelnden Blicke und der allmählichen Gar- und Verzehr-Prozesse. Das Leben in dem französischen Herrenhaus der Belle Epoque ist ein immerwährendes Fest, ein andauerndes Glück.

So scheint es zumindest; doch bald werfen Ohnmachtsanfälle der Köchin Eugenie (Juliette Binoche) einen Schatten auf diesen wohligen Mikrokosmos in einem Gutshaus an der Loire Ende des 19. Jahrhunderts. Nachdem ein Arzt keinen Rat weiß, muss sich der Hausherr Dodin Bouffant (Benoit Magimel) bald die Frage stellen, ob und wie er das gemeinsame Lebenskunstwerk fortführen kann.

Eugenie weiß selbst, was für ein Geschenk sie ist. Seit zwanzig Jahren steht sie in den Diensten des wohlhabenden Gastronomen Bouffant. Es ist jedoch kein Herr-Knecht-Verhältnis was beide verbindet. Gemeinsam erschaffen sie Tag für Tag mehrgängige Menüs für ihre Freunde. Bouffant komponiert die Gerichte, Eugenie setzt sie kongenial um. Beide schätzen einander und wissen ohne viele Worte, wie sie die Dinge, die die Erde hergibt, in größtmöglichen Genuss verwandeln können.

Dabei wird kaum ein Wort gesprochen, keine Musikuntermalung schon gar keine Spur von Großraumküchen-Stress. Stattdessen eine von heiterer Spannung durchwirkte Choreographie. Jeder Handgriff sitzt. Kurze Anweisungen an die junge Küchenhilfe Violette (Galatea Bellugi), deren begabte Nichte Pauline (Bonnie Chagneau-Ravoire) oder den mitarbeitenden Hausherrn erfolgen höflich und klar.

Binoche und Magimel geben ihrem Umgang mit den Materialien und miteinander eine jeweils unterschiedlich akzentuierte Selbstverständlichkeit: Binoches Gesten sind präzise und von sachlicher, manchmal ironisch-scherzender Zugewandtheit, Magimel hingegen sieht man immer wieder mit spielerischer Konzentration herumexperimentieren wie ein großes, glückliches Kind. Beide eint die Freude am genauen Betrachten und am richtigen Tun, sei es das Essen oder der geliebte Mensch.

Für Gesellschaftskritik ist in dieser Küche kein Platz. Eugenie stellt einmal gegenüber den Freunden klar, dass sie die Speisen nicht weniger genieße als die Gäste. Und als die Besucher darauf bestehen, dass sie auch zu Tisch kommen solle, beharrt sie auf ihrem Platz in der Küche; sie kommuniziere ja schon durch ihre Speisen mit ihnen, “und mehr gibt es nicht zu sagen”.

Die vom Kameramann Jonathan Ricquebourg fein komponierten, aber nie überladen wirkenden Stillleben kommen mit wenig Licht aus. In langsam und diskret sich steigernden Fahrten und Nahaufnahmen feiern sie die nahezu riechbare Materialität eines Holztisches, eines Leinentuchs und eines Kristallglases.

“Geliebte Köchin” geht für Frankreich ins Rennen um eine “Oscar”-Nominierung als Bester internationaler Film. Vielleicht entgeht der Jury ja nicht, wie politisch der scheinbar unpolitische Film ist. Denn der Perspektivwechsel, den “Geliebte Köchin” anbietet, hat untergründig ebenso viel mit den jüngsten Bauernprotesten wie mit der institutionellen Geringschätzung des Kinos als Kunst zu tun. Unser Verhältnis zu den Dingen hat in den letzten Jahrzehnten Schaden genommen; der “Verbraucher” wurde gegen den “Erzeuger” in Stellung gebracht und die Ware dazwischen zerrieben. Von der Erde des Ackers im ersten Bild bis zu den am liebsten vom Essen handelnden Konversationen eines Freundeskreises ist hier alles eins.