Differenzierung ist nötig

UK 22/2017, religiöse Symbole (Leitartikel Seite 1: „Schule der Toleranz“)
Der Artikel zum Thema Religionsfreiheit und der Zulässigkeit von religiösen Symbolen nimmt ein wichtiges Thema auf. Und zu Recht kritisiert er die unsinnige Entscheidung, einer Berliner Lehrerin das Tragen eines Kreuzes an einer Halskette zu untersagen. Dennoch greift die Autorin zu kurz, wenn sie pauschal alle Zeichen der Religionszugehörigkeit über einen Kamm schert und Kreuz, Turban, Davidsstern und das muslimische Kopftuch in einen Topf wirft. Letzteres wirft durchaus Probleme auf.
Symbole stehen immer – mal mehr, mal weniger sichtbar – für eine inhaltliche Aussage. Sie sprechen. Das Tuch auf dem Kopf einer muslimischen Lehrerin heißt übersetzt: „Eine anständige Frau verhüllt ihr Haupt.“ Damit ist über alle anderen Frauen ebenfalls eine Aussage gemacht, ob das die Trägerin beabsichtigt oder ob es ihr bewusst ist, tut nichts zur Sache. Würde die Lehrerin sich einen Anstecker mit dieser Aufschrift anheften, herrschte vermutlich Einigkeit darüber, dass eine solche Aussage in der Schule nichts verloren hätte. Trägt sie diese Auffassung plakativ mit dem entsprechenden „Symbol“ in den Klassenraum, übt sie aber auch erheblichen psychologischen Druck auf Schülerinnen mit muslimischem Elternhaus aus, nämlich dann, wenn die (noch) kein Kopftuch tragen. Ob man das zulassen soll, ist zumindest im Wortsinne fragwürdig.
Mir ist bewusst, dass ich an dieser Stelle etwas vereinfache und die entsprechende Diskussion mehr Raum einnehmen müsste, als ein Leserbrief hergibt. Aber im Grunde genommen macht's der Artikel ähnlich wie das umstrittene Berliner Neutralitätsgesetz: Er packt alles Religiöse zusammen und verzichtet auf jede Differenzierung. Vielleicht aus Angst, den berühmten Beifall von der falschen Seite zu bekommen. Angst ist aber selten ein guter Ratgeber.

Harald Lehmann, Bochum