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“Die schnellste Frau der Welt”

Als die junge Rennfahrerin ihren größten Triumph erzielt hatte, war der neue Titel schnell gefunden: „Die schnellste Frau der Welt“, skandierten die Menschen auf dem Prager Wenzelsplatz, als Eliska Junková 1927 aus Sizilien zurückkam. Da hatte sie gerade die Targa Florio gemeistert, das damals als schwerstes Rennen der Welt galt, und trotz einer Panne den fünften Platz belegt. Die meisten Profi-Rennfahrer landeten weit hinter ihr.

Der Motorsport steckte damals noch in den Kinderschuhen, und Eliska Junková gehörte zu denen, die ihn groß machten. Sie war die erste Frau überhaupt, die bei einem internationalen Rennen den ersten Platz in der Gesamtwertung belegte und sämtliche Männer weit hinter sich ließ – 1926 ist ihr das gelungen, beim Rennen von Zbraslav nach Jiloviste nahe Prag.

Vor 125 Jahren, am 16. November 1900, kam Junková im mährischen Olmütz (heute:
Olomouc) zur Welt. Damals waren noch fast keine Autos auf den Straßen zu sehen. Und zu Beginn der 1920er Jahre waren in der ganzen Tschechoslowakei nur rund 10.000 Autos zugelassen.
Junkovás Ehemann brannte für Autos, und so machte eben auch sie ihren Führerschein – um ihren Mann besser zu verstehen, so erzählte sie es später. Dass sie ihn bei Autorennen weit überflügeln würde, ahnte damals noch niemand.

Heute wird das Andenken an Junková und ihre Erfolge in der Prager Altstadt wachgehalten. In einem funktionalistischen Haus residiert dort der tschechische Autoclub, ein Verband für Autofahrer und Motorsport. Im Foyer hängt eine Bronze-Büste von Junková, über ihrem strahlenden Gesicht trägt sie eine Kappe und eine hochgesteckte Rennfahrer-Brille. Der prachtvollste Salon des Hauses ist nach ihr benannt, überall hängen Schwarz-Weiß-Fotos von ihren großen Siegen.

„Man muss sich das so vorstellen, als würde sich heute eine 27-jährige Frau mit ihrem eigenen Auto beim legendären Rennen in Monza ins Teilnehmerfeld stellen“, sagt Autoclub-Sprecher Bohumil Pacl in Anspielung auf die berühmte norditalienische Formel-1-Strecke, auf der heute um den Großen Preis von Italien gefahren wird. „Nach dem Start wäre sie zwischen den mit allen Wassern gewaschenen Rennfahrern über lange Zeit an zweiter Position, um dann trotz einer Panne auf einem Spitzenplatz ins Ziel zu kommen.“

Die unglaubliche Motorsport-Karriere der jungen Frau begann 1923, zunächst als Beifahrerin ihres Mannes. Das Autofahren war damals noch eine schweißtreibende Angelegenheit, erzählt Jiri Kotatko. Der Oldtimer-Fan war mehrere Jahrzehnte lang eng mit Junková befreundet. „Zu der Zeit gab es keine Autos mit Servolenkung. Hinzu kam: Das Getriebe war asynchron, bei jedem Schaltvorgang musste man Zwischengas geben, das hat also große Geschicklichkeit von den Fahrern gefordert. Und Eliska hatte diese Geschicklichkeit.“

Jiri Kotatko lernte Eliska Junková in den 1960er Jahren kennen. Damals kaufte er einen Bugatti von ihr, den er bis heute besitzt, die legendäre Modellreihe 43 aus den 1920er Jahren. „Die Rennen gingen damals meistens einen Berg hoch oder fanden auf einem Rundkurs statt. Wenn man sich heute die alten Aufnahmen anschaut, da wechselt sich Kopfsteinpflaster mit Asphalt ab, dazu enge Kurven und Bordsteine – das war hochgefährlich.“

1924 fuhr Eliska Junková ihr erstes eigenes Rennen, einen regionalen Wettbewerb, und gewann. 1926 dann stellte sie beim Rennen von Zbraslav nach Jiloviste einen neuen Streckenrekord auf. Die Welt staunte. „Man kann nicht sagen, sie fuhr wie ein Mann“, stand damals im „Berliner Tageblatt“: „Sie war besser als viele erfahrene Rennfahrer. Sie war eine Klasse für sich!“

Und Junková hatte gerade erst angefangen. Sie gewann auf dem Nürburgring in der Kategorie bis zwei Liter Hubraum, sie wurde zweite beim Klausenrennen in der Schweiz, sie kam strahlend von der Targa Florio auf Sizilien zurück. Junková schloß Freundschaft mit Ettore Bugatti, dem Chef des italienischen Autoherstellers, der sie bewunderte.

„Ein gutes Rennen ist das Ergebnis von höchster Anspannung, so wie bei jeder schöpferischen Tätigkeit“, so beschrieb sie ihr Erfolgsrezept selbst später in einem Dokumentarfilm, den das tschechoslowakische Fernsehen über sie drehte. „Und eine große Rolle spielt die gründliche Vorbereitung – der Maschine, aber auch von einem selbst.“

Bei dieser Vorbereitung überließ sie nichts dem Zufall. Ihre Enkelin Marketa Sonková berichtet, wie die Rennfahrerin vor dem Start die gesamte Strecke zu Fuß abzulaufen pflegte: „Sie hat sich kleine Zeichnungen angefertigt und genau notiert, wo welche Kurve ist, welche Steigung, welcher Baum; wo sie aufpassen muss.“

Marketa Sonková ist Ende 50, sie kannte ihre Großmutter nur im sportlichen Ruhestand. „Sie können sie sich nicht als klassische Oma vorstellen, der die Enkel auf dem Schoß sitzen, während sie Märchen vorliest“, sagt sie lachend: „Oma hat ständig am Fernsehen die Formel 1 verfolgt, in der Post waren alle möglichen Motorsport-Zeitschriften von Freunden aus dem Ausland. Der Motorsport hat sie ganz und gar verschluckt.“

Dabei war ihre aktive Karriere nur sehr kurz: 1928 hörte sie von einem Tag auf den anderen auf, Rennen zu fahren, nachdem ihr Mann tödlich verunglückt war. Eliska Junková starb 1994 – fast 70 Jahre, nachdem sie zur schnellsten Frau der Welt gekürt wurde.