Die Predigt darf auch mal rausfliegen

Mit einer neuen Form von Gottesdiensten geht die Lüneburger St.-Nicolai-Kirche an den Start. Zur Premiere gibt’s ein Interview – und keine Predigt.

Die Lüneburger Journalistin Carolin George ist zu Gast beim ersten „Freiraum“-Gottesdienst
Die Lüneburger Journalistin Carolin George ist zu Gast beim ersten „Freiraum“-GottesdienstKaren Miether / epd

Lüneburg. „Welt trifft Gott – FreiRaum Nicolai“ lautet das Motto einer neuen Gottesdienstform in Lüneburg. Das Gottesdienstprojekt startet am Sonntag, 11. August, in St. Nicolai und wird von einem Team aus dem Kirchenkreis Lüneburg, der St.-Nicolai-Gemeinde und dem Mentorat für Studierende der evangelischen Theologie an der Leuphana-Universität vorbereitet.

Aus der eigenen Familie kennt Pastor Eckhard Oldenburg, einer der Initiatoren, das nur zu gut: Wenn er mit seinen erwachsenen Kindern spricht, heißt es „Naja, was du predigst, ist zwar ganz schön.“ Aber auch wenn der Glaube ihnen etwas bedeutet, die Musik, die Formen des klassischen Sonntagsgottesdienstes sprechen sie ebenso wenig an wie viele in ihrer Altersgruppe.

Die Folgen erlebt Oldenburg immer wieder. „Dass wir nur 70 bis 100 Leute am Sonntag im Gottesdienst haben, damit kann man sich vielleicht noch zufrieden geben, aber nicht damit, dass uns ganze Generationen fehlen. Da muss etwas passieren“, sagte sich der Pastor an St. Nicolai – und suchte gemeinsam mit dem Lüneburger Musiker und Komponisten Daniel Stickan nach einer Lösung: „Wir feiern gern Gottesdienst, aber wir brauchen neue Formen, um das Evangelium an die Leute zu bringen.“

Scheitern erlaubt

Schnell stießen Schulpastor Renald Morié, Pastorin Barbara Hanusa, die im Mentorat an der Leuphana-Universität die angehenden Religionslehrer betreut, sowie CVJM-Jugendreferentin Larissa Zagel – mit 26 Jahren die Jüngste im Bunde – zum Vorbereitungsteam. Sie alle haben die gleiche Erfahrung gemacht: Die klassischen Gottesdienste sprechen viele Menschen nicht an. Auch ihnen selbst gehe das manchmal so.

Da setzten sie an – und entwickelten den „FreiRaum“. Der Name ist Programm: Sie wollten einen Freiraum schaffen für ihre Vision von Gottesdienst. „Wir suchen nach neuen Sprachformen, in Texten und in der Musik. Wir wollen experimentieren und dabei auch gehörig scheitern dürfen“, sagt Oldenburg. Das bedeute nicht, dass alle neu sein müsse: „Wir orientieren uns am bekannten Gottesdienst, aber haben nicht die klassische Liturgie.“

Beim ersten Mal beispielsweise werde die sonst übliche Predigt durch ein Interview mit der Lüneburger Journalistin Carolin George ersetzt. Sie hat ein Buch über Kirchen und Kapellen der Region geschrieben. Auch zu den folgenden Terminen will das Team von „FreiRaum“ immer wieder Gäste einladen, etwa den Sänger und Schauspieler Philip Richert oder den jungen Theologen, Moderatoren, Sänger und Liedermacher Julian Sengelmann.

„Gott lässt sich nicht einfangen“

Bewusst setzten die Initiatoren auf ein offenes Programm. „Wir wollen suchen und fragen und Situationen schaffen, in denen wir uns selbst überraschen. Und wir wollen euch zum Suchen bringen und eure Fragen hören. Wir tun das, weil wir fest daran glauben, dass es einen Gott gibt, der sich nicht einfangen lässt, der uns immer wieder auf neue Wege locken will und doch auch einen festen Grund legt“, kündigen die Organisatoren an. Für die Besucher bedeute das: „Niemand soll einfache Antworten bekommen, aber niemand soll ohne Antwort bleiben.“

Der erste „FreiRaum“-Gottesdienst wird am Sonntag, 11. August, um 17 Uhr in St. Nicolai, Lüner Damm 15, gefeiert. Er steht unter dem Titel „FreiRaum. suchen. finden. feiern“. Die weiteren Gottesdienste finden jeweils am 2. Sonntag im Monat um 17 Uhr in St. Nicolai statt: am 8. September zum Thema „SinnVoll“, am 13. Oktober unter dem Titel „Gnadenloses Glück“, am 10. November unter dem Motto „Flügelschatten“ und am 8. Dezember zum Thema „Heiliger Unsinn“. Und 2020 geht es weiter: Sieben Termine bis Juli stehen bereits fest.