In den recht sachlichen Gängen des Konsistoriums, der Verwaltungsbehörde der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), hängen in Öl gemalt die Porträts würdiger Herren. Es sind die Bilder der Präsidenten, die das Konsistorium seit 1847 geleitet haben. Dabei gibt es eine auffällige Lücke. Die Präsidenten der NS-Zeit glänzen durch Abwesenheit. Warum das so ist, ist unbekannt. Es ist nicht einmal sicher, ob es diese Porträts überhaupt jemals gegeben hat.
Bekannt ist dagegen die Geschichte einer weiteren Lücke, denn sie existiert erst seit wenigen Monaten. Viola Vogel, Konsistorialpräsidentin seit 2023, hat das Porträt eines ihrer Vorgänger abhängen lassen. Hansjürg Ranke, NSDAP-Mitglied seit 1937, war Konsistorialpräsident von 1960 bis 1971. Nachdem Viola Vogel erfahren hatte, dass Ranke sich in seiner Amtszeit aktiv für die Entlastung von NS-Tätern eingesetzt hat, veranlasste sie nicht nur die Entfernung seines Porträts. Seine problematische Rolle wurde darüber hinaus zur Initialzündung eines Forschungsprojekts, das die Präsidentin am 20. Oktober im Konsistorium vorgestellt hat.
Fünf Präsidenten im Fokus
„Es war klar, dass die Rolle des Konsistoriums und seiner Präsidenten in der NS-Zeit irgendwann einmal aufgearbeitet werden muss“, sagte Vogel. „Als ich von Rankes zweifelhafter Rolle erfahren habe, habe ich gesagt: Dieses Irgendwann ist Jetzt.“ So wurde eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe berufen, die im Zeitraum von 2025 bis 2027 die Rolle der Präsidenten und ihres Umfelds untersuchen und die Ergebnisse der Öffentlichkeit in Form einer Publikation und einer Dauerausstellung zugänglich machen soll. Der Kommission gehören neben Viola Vogel Pfarrerin Marion Gardei, Beauftragte für Erinnerungskultur der EKBO, die Historikerin Martina Voigt von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die Direktorin des Landeskirchenarchivs Sabrina Heeren-Simon sowie die Grafikerin Gabriele Dekara an.

Im Zentrum der Untersuchung werden die fünf Präsidenten stehen, die das Konsistorium während der NS-Zeit geleitet haben: August Gensen (1925–1933), Paul Walzer (1934–1936), Georg Rapmund (1936–1937), Walter Siebert (1937–1938 kommissarisch) und Johannes Heinrich (1938–1945). Auffällig ist die in der Regel sehr kurze Amtszeit der Fünf. Einer Entnazifizierung musste sich nur Siebert stellen, der 1966 starb. Alle anderen sind zwischen 1936 und 1948 verstorben.
Differenziertes Bild
Die bisherigen Erkenntnisse zeigen ein differenziertes Bild. Die größte Nähe zum NS-Regime hatte wohl Heinrich, Rechtsanwalt und vor seiner präsidialen Tätigkeit Schatzmeister der Inneren Mission. Er war mit dem klaren Ziel angetreten, die konsistoriale Behörde auf nationalsozialistischen Kurs zu bringen. Er sah in ihr bislang vor allem „unzuverlässige“ Theologen und Juristen am Werk. In seiner Amtszeit tat er sich durch die Denunziation kirchlicher Mitarbeiter hervor. Eine entscheidende Rolle spielte er bei der Verfolgung des Spandauer Superintendenten Martin Albertz und seiner Rolle als führendem Mitarbeiter der illegalen Hochschule der Bekennenden Kirche.
An zweiter Stelle scheint Paul Walzer zu stehen, wie Heinrich NSDAP- und Deutsche-Christen-Mitglied, ein Vertrauter des von Hitler eingesetzten Reichsbischofs Müller. Er wurde aber bereits nach kurzer Amtszeit nach Süddeutschland versetzt. Dort wollte er die sogenannten intakten Landeskirchen Württemberg und Bayern, in denen die gleichgeschalteten „Deutschen Christen“ (DC) keine Mehrheit hatte, in die nationalsozialistische Reichskirche eingliedern.
Oberkirchenrat war SS-Sturmführer
August Gensen, der zur Zeit der Machtergreifung schon seit mehreren Jahren Präsident war, schied aus möglicherweise vorgeblichen Altersgründen aus seinem Amt aus. Seine naive Nähe zu der aufkommenden NS-Bewegung stieß innerhalb der Kirche auf Ablehnung. Über Georg Rapmund ist bislang wenig bekannt. Er war kein Parteimitglied, erkrankte kurz nach der Amtsübernahme und starb am 2. Mai 1937. Die Amtsgeschäfte führte überwiegend Walter Siebert, der das Amt auch kommissarisch übernahm. Siebert war Mitglied der DC, aber nicht der NSDAP. Dass er nie regulärer Präsident wurde, könnte an seiner kritischen Haltung gegenüber der Machtkonzentration in der Person von Friedrich Werner liegen.
Oberkirchenrat Werner, SA-Sturmführer, frühes Mitglied sowohl der NSDAP, wie der DC, war Präsident des Altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrats. Zudem war er Präses der Generalsynode der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union und Vorsitzender des Kirchensenats in Personalunion. Er sorgte dafür, dass Siebert von dem konsequenten Nazi Heinrich abgelöst wurde. Soweit der aktuelle Kenntnisstand, wie ihn die Martina Voigt bei der Vorstellung des Projektes skizzierte.
Schuldbekenntnis der Landeskirche
„Es ist mir wichtig, dass aufgearbeitet wird, wo sich das Konsistorium im Blick auf Verwaltungsunrecht schuldig gemacht hat“, betont Präsidentin Vogel. Daher werden sich die Recherchen zu dem Projekt auch nicht auf die fünf Präsidenten beschränken. Die Behörde müsse als Ganzes in den Blick genommen werden, das machten Voigt, Vogel und Gardei übereinstimmend deutlich. Gerade da die Amtszeiten der Präsidenten zum Teil von längeren Krankheitsphasen begleitet waren, müssten auch Stellvertreter, Referatsleiter und Oberkirchenräte in ihrem Verhalten untersucht werden. Voigt spricht von etwa 60 Personen, die in den 15 Jahren von 1930 bis 1945 in solchen Funktionen tätig gewesen sind. Ein erster Schritt wird darin bestehen, diese Personen auf eventuelle Parteizugehörigkeit hin zu untersuchen.
Wie die Kirche in das Handeln des NS-Staats verstrickt sein konnte, wurde bei der Vorstellung des Forschungsprojekts am Beispiel der Erstellung der sogenannten Arierpässe exemplarisch dargestellt. Wer seine Abstammung nachweisen musste, war auf die Einträge in den Kirchenbüchern angewiesen. Ebenso konnten mit den Kirchenbüchern eventuelle jüdischstämmige Vorfahren gefunden werden.
Gemeinden stellten sich schützend vor Betroffene
Es habe durchaus Gemeinden gegeben, die sich bei problematischen Einträgen mit Verzögerung oder auch mit der Nichtbeachtung von Anfragen schützend vor Betroffene gestellt haben, so Voigt. Das wurde ab Mitte der 30er Jahre schwieriger. In der Zeit begann Karl Themel, Leiter der Kirchenbuchstelle Alt-Berlin, die Kirchenbücher in einem Zentralarchiv zusammenzufassen und sie systematisch auf Menschen jüdischer Abstammung hin zu untersuchen, um die Ergebnisse dann an NS-Behörden weiterzuleiten. Dieses Beispiel aktiven Handels im Sinne des NS-Staats wird allerdings nicht Teil des aktuellen Forschungsprojekts sein. „Das Themenfeld wurde bereits ausführlich von dem Historiker Manfred Gailus untersucht und dokumentiert“, sagte Gardei.
Dafür soll der kritische Blick nicht im Jahr 1945 enden. Das Beispiel des „abgehängten“ Hansjürg Ranke zeigt, dass problematisches Handeln im Blick auf die NS-Vergangenheit durchaus in das Nachkriegsdeutschland hineinragt. So war es auch kein Zufall, dass das Forschungsprojekt genau einen Tag nach dem Jahrestag des Stuttgarter Schuldbekenntnisses von 1945 vorgestellt wurde.
Für die weitere Arbeit hat sich die Projektgruppe einen ambitionierten Zeitrahmen gesetzt. Die Recherchen sollen bereits im ersten Quartal 2026 abgeschlossen sein. Die Veröffentlichung der Publikation und die Eröffnung der Ausstellung sind für Mitte 2027 geplant.
Norbert von Fransecky ist Pfarrer und Religionslehrer in Berlin und Brandenburg und arbeitet als freier Journalist.
