Die Krise mit der Milch

Viele Milchbauern müssen ihre Höfe aufgeben, andere überbrücken die Milchkrise mit Darlehen. Eine schnelle Lösung, um wieder kostendeckend zu wirtschaften, ist nicht in Sicht.

Durch zu geringe Milchpreise geraten Landwirte in Existenznot
Durch zu geringe Milchpreise geraten Landwirte in ExistenznotSteffen Schellhorn

von Thorge Rühmann

Kiel / Hohenwestedt. Früh um fünf Uhr beginnt die Arbeit für Christoph Lutze. Der Landwirt aus Hohenwestedt hat 180 Kühe im Stall stehen. Er versorgt die Tiere, melkt sie, kümmert sich darum, dass der Betrieb funktioniert. So normal wie möglich. Dabei ist für Milchbauern wie ihn eigentlich seit Monaten nichts normal: „Die Lage für uns Milchbauern ist katastrophal. Der Schuldenberg der Betriebe wird immer größer. Wir können unsere Rechnungen nicht mehr bezahlen“, schildert der 57-Jährige die Situation in der Branche.
Schuld daran ist der stark gesunkene Preis für einen Liter Milch. Seit 2015 gab es einen Preisverfall bis weit unter die Grenze, ab der die Bauern wirtschaftlich produzieren können. Die liegt bei 40 Cent pro Liter, mittlerweile zahlen die Molkereien nur noch 24 Cent. Für den Landwirt, der den Hof mit seinen zwei Söhnen gemeinsam betreibt, hat die Milchkrise einen Vermögensverlust von 180 000 bis 200 000 Euro pro Jahr zur Folge. „Wir verlieren mit jedem Liter Milch Geld“, so Christoph Lutze. „Die meisten Betriebe halten sich über Darlehen aufrecht, versuchen, die Krise so zu überbrücken. Jeder hofft, dass es mit der Zeit wieder besser wird.“

„Wir sind nur die Restgeldempfänger“

Als Ursachen nennt der Milchbauer schlicht die Überproduktion. Hinzu komme die zu große Marktmacht des Lebensmittelhandels. „Wir Landwirte sind gegenüber den Meiereien nur Restgeldempfänger. Und wir haben eine schlechte Verhandlungsposition – der Lebensmittelhandel kann die Preise und Bedingungen, zu den produziert werden soll, diktieren.“ Drei Krisen mussten die Bauern überstehen – 2009, 2012 und die aktuelle, die seit 2015 andauert. Es bestehen zwei Ansätze, mit denen der Krise begegnet werden soll.
Der Bauernverband einerseits bemerkt in einem auf seiner Internetseite veröffentlichten Positionspapier: „Für den wirtschaftlichen Erfolg der Milchviehhalter ist in erster Linie der Markt verantwortlich, nicht mehr die Politik.“ Das sei zynisch, findet Christoph Lutze. Nach dieser Lösung würden ihm zufolge wohl nur mittlere und große Betriebe überleben, kleinere Höfe aber untergehen. Der Bundesverband deutscher Milchviehhalter, dem der Landwirt angehört, verfolgt einen anderen Ansatz: „Wir müssen die Milchmenge reduzieren – zunächst auf freiwilliger Basis, und wenn das nicht funktioniert, dann zwangsweise“, fordert Lutze.

Milchkrise ist längst ein globales Problem

Die Hauptursache der aktuellen Milchkrise sieht auch Ulrich Ketelhodt in der Überproduktion. „Dahinter steckt das Ziel des Strukturwandels“, sagte der Diplom-Agraringenieur und wissenschaftliche Referent beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt. Ziel sei, dass nur wenige große Betriebe am Markt erhalten bleiben. Ihm zufolge gaben 2015 rund sieben Prozent aller Landwirte in Schleswig-Holstein den Betrieb auf. Im laufenden Jahr sind es bereits mehr als zehn Prozent. Die Preise für Weideland sind niedrig, der Markt ist übersättigt. Das Grasland kann nur über Wiederkäuer verwertet werden – vor allem sind das Kühe und Schafe. Auf immer mehr Weideflächen stehen nun keine Kühe mehr, nur dass Gras wird gemäht und im Stall verfüttert. „Grünland ist ökologisch besonders wertvoll“, sagt Ketelhodt. Ohne Kühe werde das Landschaftsbild, typisch für den „echten Norden“, beeinträchtigt, was unter touristischen Aspekten ein Verlust sei.
Längst sei die Milchkrise aber auch zu einem globalen Problem geworden, so der Experte. Durch
die Überproduktion in Deutschland und Europa werde viel Milchpulver hergestellt, das zu sehr niedrigen Preisen in Afrika auf den Markt kommt – und die Existenz vieler afrikanischer Bauern bedroht, die mit solchen Preisen nicht konkurrieren können. In der Folge gehen einheimische Betriebe dort pleite.

Weg von der „Wegwerf-Kuh“

Ketelhodt hat sich Gedanken darüber gemacht, wie die Überproduktion von Milch verringert werden könnte. Langfristig könne sich etwas ändern, indem man die Tiere langsam daran gewöhnt, weniger Milch zu geben. Sie bekämen weniger energiereiches Futter, so ließe sich die Milchleistung drosseln. So ergäben sich Einsparungen beim Futtermittel, die wenigstens den Fehlbetrag, der durch die geringere Milchleistung entstünde, etwas abmildern könnten. „Das geht aber nicht von heute auf morgen“, erläuterte Ketelhodt: „Das System ist so angelegt, dass die Tiere maximal Milch liefern – das kann man nicht einfach so herunterfahren.“ Denn moderne Kühe gleichen heute hochgezüchteten Leistungssportlern. Pro Jahr geben sie einen Ertrag von 10 000 Litern Milch.

Die Tiere werden im Durchschnitt sechs Jahre alt, bekommen drei Mal in ihrem Leben Kälber. Dabei sei für die Tiere biologisch eigentlich ein Lebensalter von bis zu 20 Jahren möglich, so der Experte. Die Hochleistungskühe brauchen umso mehr Pflege – und die ist teuer. „Wenn man drei bis vier Jahre Höchstleistung fordert, hat das seinen Preis: Die Tiere werden häufiger unfruchtbar, die Euter entzünden sich, die Klauen machen Probleme“, erläutert der Fachmann. Ein Landwirt könnte sich ihm zufolge auch von Kühen trennen, den Betrieb verkleinern, so Ketelhodt. Das Problem: Er würde bei den aktuellen Preisen einen Verlust machen. Zudem sei es für einen Betrieb – gleichgültig ob ökologisch oder konventionell – umso schwerer zu wirtschaften, je kleiner der Hof ist. Und das Umstellen auf eine nachhaltige Bio-Produktion? „Bedeutet eine Durststrecke von etwa zwei Jahren“, so Ketelhodt. „Den kostenlosen Umstieg gibt es nicht.“

Welche Milchtüte ist die richtige Wahl?

„Wenn ich im Supermarkt stehe – welche Milchtüte soll ich dann auswählen?“ Diese Frage wird dem KDA-Experten bei Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden häufig gestellt. „Am Preis der Milch kann man jedenfalls nicht sehen, ob man den Landwirt unterstützt“, sagt Ketelhodt dann. Denn der Preis, den die Meiereien an die Bauern auszahlen, sei bis auf geringe Unterschiede überall gleich. Er rät: „Gucken Sie, ob Sie das Produkt einer regionalen Meierei finden. Am besten für Mensch und Tier ist es, wenn es sich dann auch noch um ein Bioprodukt handelt.“
Im Kuhstall in Hohenwestedt hofft Landwirt Lutze darauf, dass sich der Milchpreis wieder erholt – vorhersagen lässt sich das nicht. „Wir Milchbauern sind viel zu leidensfähig“, sagt er. Viele schämten sich, seien verzweifelt. Landwirtschaft – das sei kein Job wie jeder andere, sondern eine Berufung. „Viele Landwirte lieben das, was sie tun.“ Doch bevor die Vermögenswerte, die in seinem Betrieb liegen, aufgebraucht sind, würde auch Lutze eher aufhören: „In die Armut gehen will ich nicht.“