Die kleinen Kirchen im Schatten des Hamburger Michels

Hamburg. In Scharen drängen die Touristen in den Hamburger Michel. Was nur wenige wissen: Im Umkreis von einem halben Kilometer stehen sieben Kirchen aus fünf Nationen. Ein internationaler Kirchen-Rundgang.

Rund eine Million Gottesdienstbesucher und Touristen kommen alljährlich in die Hamburger Hauptkirche St. Michaelis. Dass sie aber das Zentrum eines regelrechten Kirchenquartiers ist, wissen nur wenige: Im Umkreis von nur 500 Metern stehen sieben Kirchen aus fünf Nationen im Schatten des "Michel". Dazu gehören auch vier skandinavische Seefahrerkirchen – die finnische hat sogar eine Sauna zu bieten.
Der Rundgang durch das Hamburger Kirchenquartier beginnt an der heutigen katholischen Kirche St. Ansgar – auch "Kleiner Michel" genannt. Beide "Michel"-Kirchen verbindet eine wechselhafte Geschichte: 1605 wurde in der Hamburger Neustadt, die damals noch außerhalb der Stadtmauern lag, die evangelische Kapelle St. Michaelis für den Pestfriedhof gebaut. Doch nachdem die Neustadt in die schützenden Wallanlagen einbezogen worden war, wuchs die Gemeinde, und die Kapelle wurde zu klein. So wurde in der Nachbarschaft die neue St.-Michaelis-Kirche gebaut – Vorgängerbau der heutigen Hauptkirche.

Wie Napoleon dem "Kleinen Michel" zum Durchbruch verhalf

Immer mal wieder wurde der "Kleine Michel" als Notkirche genutzt. Seine Bedeutung als katholisches Gotteshaus erlangte er aber erst durch den französischen Kaiser Napoleon, der Hamburg eroberte und die Stadt 1811 zum französischen Departement machte. Für seine katholischen Soldaten suchte Napoleon eine geeignete Kirche, und so wurden in Hamburg erstmals nach der Reformation katholische Gottesdienste gefeiert. St. Ansgar wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und Anfang der 50er Jahre mit französischer Hilfe neu aufgebaut.
Neben dem "Kleinen Michel" liegt die evangelische Freikirche "Holstenwall", die bis zu 1.000 Menschen Platz bietet und ihre Gottesdienste auf deutsch, englisch, spanisch und indonesisch feiert. Von dort sind es nur 200 Meter Luftlinie zur Hauptkirche St. Michaelis – doch dazwischen liegt die verkehrsreiche Ludwig-Erhard-Straße, eine sechsspurige Ost-West-Schneise.
Genau genommen ist das Wahrzeichen "Michel" nur der 132 Meter hohe Turm, den die Seeleute von der Elbe als ersten Hamburger Kirchturm erkannten. 1786 wurde er in seiner heutigen Form eröffnet, fing 1906 aber bei Lötarbeiten Feuer und brannte ebenso nieder wie das Kirchenschiff. Die Gemeinde beschloss, Turm und Kirche genauso wieder aufzubauen. Der barocke, helle Kirchenraum bietet rund 2.500 Besuchern Platz – und trotzdem hat man an Heiligabend Mühe, einen Platz zu bekommen. Vier neu restaurierte Orgeln lassen den Raum für Musik aller Jahrhunderte erklingen.

Von britischen Soldaten wieder aufgebaut: die Kirche der Anglikaner

Zwei Ecken weiter steht am Zeughausmarkt die Kirche der Anglikaner. Weil der turmlose neo-klassizistische Säulen-Bau auch als Theater oder Museum durchgehen könnte, hat die Gemeinde im vorigen Jahr "Englische Kirche" über den Eingang schreiben lassen.
Gegründet wurde die Gemeinde 1612 von englischen Tuchhändlern. Damit durften die Anglikaner lange vor Katholiken und Reformierten in Hamburg Gottesdienste feiern. Der Vorgänger des heutigen Baus wurde 1838 eingeweiht. Im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört, bauten britische Soldaten ihn wieder auf. Die rund 120 Mitglieder der Gemeinde stammen aus Afrika, Indien, den USA und Großbritannien.
Bergab Richtung Landungsbrücken geht es zur Schwedischen Kirche, der ältesten erhaltenen Seemannskirche in Hamburg. Sie ist in die Häuserfront eingegliedert, und nur der Backsteinturm macht sie als Gotteshaus erkennbar. Die Gemeinde hat 650 Mitglieder in ganz Norddeutschland. 1907 wurde die "Gustaf-Adolfs-Kyrkan" vom schwedischen Erzbischof geweiht und ist dem Bistum Visby zugeordnet.

Typisch skandinavisch: finnische Kirche mit Sauna

Dahinter liegen wie auf einer Perlenkette die finnische, norwegische und dänische Seemannskirche. Eine Sauna, wie sie die finnische Kirche hat, ist auch im liberalen Hamburg ungewöhnlich. Neben ihr steht die Sjømannskirke" der Norweger und am Ende der Straße die "Benediktekirke" der Dänischen Seemannsmission, die seit 1875 in Hamburg aktiv ist. Einen baugleichen Turm findet man auch an der "Adventskirken" in Kopenhagen. Bekannt sind die Seemannskirchen für ihre gemütlichen Weihnachtsmärkte.
Ursprünglich waren die skandinavischen Kirchen für die Seeleute aus dem Norden gebaut worden. Doch skandinavische Seeleute sind selten geworden in Hamburg, und die wenigen haben keine Zeit für einen Kirchgang. So haben sich die Seemannskirchen zum Treffpunkt für Landsleute aus ganz Norddeutschland entwickelt. Ihre gemeinsame Adresse ist die Ditmar-Koel-Straße: Namensgeber Koel (1500-1563) war nicht nur Kapitän und Seeräuberjäger, sondern auch Hamburger Bürgermeister und Förderer der Reformation.