Die Kirche an Bord

Ekkehart Woykos ist Militärpfarrer in Wilhelmshaven – noch bis zum 30. Juni. Dann beendet er seinen Dienst. Er ist die Dorfkirche auf dem Boot. Hier blickt er zurück auf die Tage auf See.

Militärpfarrer Ekkehart Woykos beim Kuchenbacken in der Kombüse
Militärpfarrer Ekkehart Woykos beim Kuchenbacken in der KombüseMilitärseelsorge

Wilhelmshaven. Als Militärpfarrer bewege ich mich in einem besonderen Umfeld. Ich teile die Lebens- und Arbeitswelt mit den Soldaten an Bord eines Schiffs. Sind erst einmal die Leinen los, dann ist ein Schiff oder ein Boot völlig autark. Wie ein schwimmendes Dorf ist eine Marineeinheit zu sehen. Vom „Bürgermeister“, über die „Verwaltung“, dem E-Werk, Wasser- und Klärwerk bis zum Dorfgasthof mit Bäckerei und Küche ist alles an Bord. Und ich, der Marinepfarrer, bilde die Dorfkirche ab.

Zwei kleine Unterschiede gibt es dann aber doch. Erstens ist kein Kirchgebäude an Bord. Der Ort für den Gottesdienst muss in Absprache mit der Schiffsführung gefunden werden. Es kann eine Messe im Lebens- und Speiseraum einer Dienstgradgruppe, zum Beispiel der Offiziere, sein. Der Gottesdienst kann aber auch im Hangar gefeiert werden, dem Parkplatz für den Bordhubschrauber oder an Oberdeck, sozusagen als „Freiluftgottesdienst“. Je nach Ort verändert sich allein die Gottesdienstatmosphäre.

Kuchen backen in der Nacht

Der zweite Unterschied zu einem realen Dorf an Land besteht darin, dass ich kein Pfarrhaus bewohne. Mit einem anderen Soldaten teile ich mir eine drei Quadratmeter große Kammer. Dort bereite ich den Gottesdienst vor. Aber ansonsten­ bin ich auf der Einheit unterwegs. Ich zeige Präsenz in der Besatzung und suche die Soldaten an ihren verschiedenen Arbeitsorten­ auf. Ich bin einfach da.

So ergab es sich, dass ich mich an einem Mittwochabend um 20 Uhr mit dem Bäcker verabredete. Am Donnerstag gibt es traditionell Kuchen für die Besatzung. Also musste für 220 Besatzungsmitglieder Kuchen gebacken werden. Daneben waren elf Toast­brote, zwölf Pizzaböden und 330 Brötchen unterschiedlicher Sorten zu backen. Um 3 Uhr am nächsten Morgen war für mich Feierabend. So kam es, dass ich nicht nur den Bäcker unterstützte, sondern während der nächtlichen Stunden auch das eine oder andere Gespräch führte. Privates und dienstliches wurde thematisiert. Groß erklären musste er mir nichts. Seine Welt „hinter dem Horizont“ ist mir vertraut.

Auch einige Abende später war es nicht viel anders. Eine Runde, ein Kontrollgang, der Schiffsbetriebstechniker führte mich mehr als zwei Stunden über die Einheit. Vom Wasserwerk, mit der Meerwasserentsalzungsan­lage, bis zum Klärwerk führte uns der Weg. Dabei kontrollierten wir aber auch das E-Werk oder die Löschpumpen der Feuerwehr.

Glauben wird Gesprächsthema

Junge Menschen, zum ersten Mal lange Zeit von der Familie getrennt, erleben die Abwesenheitszeiten anders als „alte Seebären“, die ihre Kinder nur „phasenweise“ aufwachsen sehen. Sind sie doch schon Jahr um Jahr mehr als 170 Tage vom Heimathafen entfernt. Heimweh und Trennungsschmerz thematisieren die einen wie die anderen. Dieses ereignet sich am ehesten dann, wenn sie an ihren Arbeitsplatz gebunden sind.

Ähnliches erlebte ich auf der Brücke, in der Operationszentrale oder in den anderen Arbeits­bereichen. Gott und die Welt, Glauben und Leben werden mitten in der Alltagswelt zum Thema, weil die Soldaten es so ansprechen. Zufällig und doch gezielt entstehen diese Gesprächssituationen. Aber immer finden die Gespräche in einem „geschützten Raum“ statt, den die Soldaten selbst herstellen, damit die Vertraulichkeit und Verschwiegenheit gewahrt bleiben.

Kirche mitten in der Arbeitswelt, so habe ich Seefahrt erlebt. Erfüllend und fordernd waren in den vergangenen sechs Jahren die siebenundzwanzig Monate auf See. Ich nehme Abschied voller Wehmut. Aber ich nehme auch Abschied voller Dankbarkeit für die Menschen, die ich begleiten durfte und die mich in der Zeit begleitet haben.