Die Kanarischen Inseln werden zum Flüchtlings-Hotspot

Mehr als 18.000 Flüchtlinge sind in diesem Jahr auf den Kanaren angekommen, zehnmal so viele wie im Vorjahr. Die Lager sind überfüllt, die Inselgruppe steht vor großen Problemen.

Flüchtlinge werden auf Gran Canaria auf Corona getestet, rechts schaut Inselpräsident Ángel Víctor Torres zu
Flüchtlinge werden auf Gran Canaria auf Corona getestet, rechts schaut Inselpräsident Ángel Víctor Torres zuGobierno de Canarias

Arrecife. Beim Versuch, die Kanarischen Inseln zu erreichen, sind mindestens acht Bootsflüchtlinge vor Lanzarote ums Leben gekommen. Die Migranten konnten das Holzboot im hohen Wellengang in der Dunkelheit anscheinend nicht kontrollieren und prallten auf die felsige Nordküste der Insel. Anwohner des nahen Küstenortes Orzola und die Seenotrettung retteten 28 junge Männer. Dennoch befürchtet man weitere Todesopfer, weil es noch zahlreiche Vermisste gibt. Die Gruppe war vor drei Tagen von der Küstenstadt Agadir 400 Kilometer entfernt im Süden Marokkos aufgebrochen.

Weil die Mittelmeerrouten derzeit gut überwacht werden und die Corona-Krise die Armut in vielen westafrikanischen Ländern verschlimmert, reißt der Flüchtlingsstrom auf den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln nicht ab. Die Inselgruppe entwickelt sich zu einem neuen Flüchtlings-Hotspot in Europa. Über 18.000 Menschen erreichten 2020 die Kanaren, zehnmal so viele wie im Vorjahr.

Keine Flüge aufs Festland

Viele schaffen es nicht. Die Flüchtlingsagentur der Vereinten Nationen ACNUR schätzt, dass 2020 rund 600 Flüchtlinge beim Versuch gestorben sind, die Kanaren und damit Europa zu erreichen. Allein im Erstaufnahmelager des Roten Kreuzes in Arguineguin im Süden von Gran Canaria befinden sich derzeit 1.300 Personen, obwohl das Camp nur für 500 Menschen ausgelegt ist. 5.500 Migranten wurden in nahen Hotels untergebracht, die wegen der Corona-Pandemie leer stehen.

Die Forderung der kanarischen Regionalregierung, Spanien solle einen Großteil der Flüchtlinge aufs Festland bringen, lehnt die Zentralregierung in Madrid jedoch ab. Man wolle nicht die Botschaft vermitteln, die Kanaren seien ein Sprungbrett nach Europa, erklärte Innenminister Fernando Grande-Marlaska.

Zu schwach zum Schwimmen

„Die Migranten starten teilweise im 1.600 Kilometer entfernten Senegal. Die Überfahrt dauert teils mehr als 12 Tage und die Flüchtlinge haben keinerlei Navigationskenntnisse, sind den Winden und Strömungen ausgeliefert“, so Santana. Und wenn ein Boot die Kanaren verpasst, treiben die Menschen auf den Atlantik hinaus. So wurden bereits vor der Küste Kubas und Miamis senegalesische Flüchtlingsboote mit mumifizierten Leichen angespült.

Und selbst die, die die Kanaren erreicht haben, überleben nicht immer. „Nach der tagelangen Überfahrt sind die Menschen teilweise so entkräftet, dass selbst diejenigen, die schwimmen können, sogar in Strandnähe in ein Meter tiefem Wasser ertrinken“, erklärt die deutsche Notfall-Sanitäterin Jenice Schwob, die bis vor kurzem auf Lanzarote beim Roten Kreuz in der medizinischen Erstversorgung von Bootsflüchtlingen arbeitete. (KNA)