Russlands Invasion in der Ukraine, hybride Kriegsführung und Cyberangriffe stellen Deutschland vor neue Herausforderungen. Krankenhäuser müssen sich für Krisen und Konflikte wappnen. Israel und Finnland machen es vor.
“Deutsche Krankenhäuser sind in ihrer derzeitigen Struktur nur eingeschränkt krisen- und verteidigungsfähig.” Die Deutsche Krankenhausgesellschaft schlägt Alarm. Zwar sei man für zivile Katastrophen mit Alarm- und Einsatzplänen gerüstet. Angesichts der aktuellen Bedrohungen seien aber Milliarden-Investitionen in Personal, Technik und Bauten im Gesundheitswesen nötig, heißt es in einem am Dienstag in Berlin veröffentlichten Gutachten. Länder wie Israel oder Finnland sind da Vorbilder.
Ähnlich sahen das kürzlich Fachleute aus Ärzteschaft, Politik, Militär und Katastrophenschutz bei einer Tagung der Bundesärztekammer. Das Gesundheitssystem könne zwar kurzzeitig große Belastungen wie einen Massenanfall von Verletzten gut bewältigen. Für eine noch größere und längere Konfliktsituation sei es aber nicht ausreichend aufgestellt. Die Rede war von einem “Schönwettersystem”.
Spätestens mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ist deutlich: Verteidigung ist nicht mehr ausschließlich Aufgabe der Streitkräfte. Der Schutz der Zivilbevölkerung, die Aufrechterhaltung zentraler Versorgungsstrukturen und die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems rückten ins Zentrum einer gesamtstaatlichen Sicherheitsarchitektur, betonte der Vorstandsvorsitzende der Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß.
Ein durchaus realistisches Szenario beschrieb der Präsident des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, Ralph Tiesler, bei der Tagung der Ärztekammer: Bei einer militärischen Auseinandersetzung in Europa unter Beteiligung der Nato würde Deutschland schon wegen seiner geografischen Lage eine zentrale Rolle als Aufmarschgebiet und Versorgungsdrehkreuz spielen. Dabei müssten über einen längeren Zeitraum sowohl zivile als auch militärische Schwerverletzte versorgt werden, erklärte er. Das könnte bedeuten, dass rund 1.000 Patientinnen und Patienten pro Tag hier versorgt werden müssten. Bundeswehrkrankenhäuser könnten das nicht annähernd allein stemmen.
Auch das zivile Gesundheitswesen muss sich deshalb auf Krisen einstellen. In ihrem Gutachten beschreibt die Krankenhausgesellschaft zentrale Handlungsfelder. “In fünf zentralen Bereichen – Personal, Cybersicherheit, physische Sicherheit, Lagerhaltung für medizinische Vorräte und Vorbereitung auf biologische, chemische und nukleare Bedrohungen – bestehen erhebliche Schwächen”, erklärte der Vorstand des Deutschen Krankenhaus Instituts, Karl Blum.
Angepackt werden muss an allen Ecken und Enden. Das beginnt bei der Infrastruktur: Notstromversorgung, Energiesicherheit, sichere Kommunikationswege und Schutzräume müssen geschaffen, ertüchtigt und getestet werden. Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Cybersicherheit: Kliniken sind längst Zielscheibe gezielter Angriffe geworden – nicht nur durch kriminelle Organisationen, sondern zunehmend auch durch staatlich gesteuerte Akteure.
Nicht zuletzt steht das Personal im Fokus: Wer führt im Krisenfall? Welche Teams sind geschult für typische Kriegsverletzungen? Wie wird psychologische Unterstützung organisiert? Und wie gelingt es, medizinische Versorgung aufrechtzuerhalten, wenn Mitarbeitende selbst betroffen oder als Soldaten und im Zivilschutz gebunden sind?
Auch die Logistik gerät im Verteidigungsfall schnell an ihre Grenzen: Versorgung mit Medikamenten, Blutprodukten, Treibstoffen oder Schutzmaterialien ist nur dann gewährleistet, wenn im Vorfeld Vorräte geschaffen und Lieferketten aufgebaut wurden. Gute Vorbereitung, klar geregelte Zuständigkeiten und trainierte Abläufe seien grundlegend, um für den Krisenfall gewappnet zu sein, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt.
Die in den 90er Jahren so überschwänglich begrüßte Friedensdividende hat ausgedient. Denn um das Krankenhaussystem gegen Krieg und Krisen zu wappnen, sind Milliarden-Investitionen notwendig. Allein um die Kliniken vor Cyberangriffen und Sabotage zu schützen, würden rund 2,7 Milliarden Euro benötigt, heißt es in dem Gutachten für die Krankenhausgesellschaft. Für das Szenario des Bündnisfalles, also des militärischen Beistands für einen Nato-Partner mit Versorgung von verletzten Soldaten aus den Bündnisstaaten, beträgt der Investitionsbedarf laut Studie 4,9 Milliarden Euro. Und um für den eigenen Verteidigungsfall gewappnet zu sein, müssten für die Kliniken sogar 14 bis 15 Milliarden Euro aufgewendet werden.