Der Schatz der Christianskirche von Hamburg

Der Turm der Christianskirche birgt einen unscheinbaren Schatz: das älteste Carillon Deutschlands. Die Glocken erklingen nur einmal im Monat, denn sie sind schwierig zu spielen.

Gudrun Schmidtke am Carillon im Turm der Christianskirche
Gudrun Schmidtke am Carillon im Turm der ChristianskircheHarald Schmidtke

Hamburg. Die Christianskirche in Ottensen hat eine Besonderheit, die man auf den ersten Blick nicht sehen kann. Man kann sie aber hören. 42 Glocken hängen im Turm der Christianskirche, kleine und große bilden zusammen ein Carillon. Einmal im Monat bringt die Glocken ein Musiker zum Klingen.
Ein Carillon ist ein Turmglockenspiel mit mindestens 23 Bronzeglocken, das von einem Spieltisch, ähnlich wie bei einer Orgel,  live gespielt werden kann. Die Glocken sind mit den Tasten, auch Stocken genannt, verbunden, drückt man eine, wird die jeweilige Glocke angeschlagen. Die Tastatur ist angeordnet wie bei einem Klavier, aber so groß, dass die Spieler oft ihre Fäuste einsetzen müssen, um sie zu bedienen.
Das Carillon im Turm der Christianskirche ist das älteste noch erhaltene in Deutschland, wo es nach Angaben der Deutschen Glockenspielvereinigung ohnehin nur noch rund 50 gibt. Hamburg hat sogar ein zweites Carillon: Im Mahnmal St. Nikolai ertönt es von der ersten Turmebene.

In den 90er-Jahren repariert

Das Carillon in der Christianskirche hat eine wechselreiche Geschichte hinter sich. Zum 200. Geburtstag der Kirche war es 1938 im Turm der Christianskirche eingebaut worden, berichtet Küster Christof Gugger. Im Zweiten Weltkrieg wurde es jedoch wieder ausgebaut. Die Glocken sollten eingeschmolzen werden und lagen schon auf dem Glockenfriedhof auf der Veddel. Nach dem Krieg entdeckte sie dort der amerikanische Verbindungsoffizier Percival Price – und erkannte sie wieder, denn vor dem Krieg hatte er selbst auf dem Carillon gespielt.
Price setzte sich dafür ein, dass die Glocken in die Christianskirche zurückgebracht wurden. Schon zwei Jahre nach Kriegsende konnte das Carillon wieder gespielt werden. Über die Jahre geriet es jedoch etwas in Vergessenheit. Erst in den 90er-Jahren reparierte der damalige Küster der Christianskirche, Eberhard Kötter, das Instrument. Er spielte es regelmäßig und sorgte dafür, dass es Ende der 90er-Jahre professionell restauriert wurde. 1997 feierte die Gemeinde den 50. Geburtstag der Wiedereinrichtung nach dem Krieg. Nun klingen die Glocken an jedem ersten Sonnabend im Monat um 15.30 Uhr über Ottensen. Am Spieltisch sitzt dann Gudrun Schmidtke oder ein anderer von drei Carilloneuren der Christianskirche. Wenn man Glück hat, kann man es auch zu anderen Zeiten hören, wenn die Spieler üben.

Große Tasten brauchen viel Kraft

Das Carillon spielen zu lernen ist eine Herausforderung. Man braucht Kraft, Gelassenheit und einen warmen Wollpullover. Da die Tasten so groß sind, muss man viel Kraft aufwenden. Außerdem schallt jede Übungsstunde aus dem Turm. In Norddeutschland gibt es nur im Kieler Kloster, im Turm der alten Klosterkirche, einen Spieltisch, an dem man üben kann, ohne dass die Nachbarschaft mithört. Und kalt kann es in der Höhe im schlecht isolierten Turm auch werden.
Als Vorlagen haben die Carilloneure Gudrun Schmidtke, Stefan Peker und Hajo Patschkowski eigene Notenbücher für das Carillon. Viele stammen aus Belgien, den Niederlanden oder Frankreich, denn in Deutschlands Nachbarländern gibt es den „Carillonneur“ noch als Beruf. Schließlich ertönte das erste Carillon, von dem berichtet wurde, 1510 in Ostflandern. In Deutschland werden hingegen die wenigen Carillons fast ausschließlich von Ehrenamtlichen gespielt, wie auch an der Christianskirche.
Ein Stück gibt es allerdings, das extra für das Carillon der Christianskirche geschrieben wurde. Vor einigen Jahren hielt eine isländische Autorin in der Kirche eine Lesung. Ihr mitgereister Mann war Komponist. „Und ich habe mich erdreistet, zu fragen, ob er nicht auch etwas Kleines für die kleine Christianskirche schreiben könne“, sagt Gudrun Schmidtke. Der Komponist war sofort bereit. Er hockte sich neben das Instrument im Turm und schrieb los. Da sein Stück nur wenige Takte umfasst, nannte er es „Miniatur“.
Info
Das Carillon in der Christianskirche erklingt an jedem ersten Sonnabend im Monat um 15.30 Uhr am Klopstockplatz. Gruppen können individuelle Termine vereinbaren unter Tel. 0179 / 391 19 60.