“Der Rausch” – vielfach preisgekröntes Alkohol-Drama

Vier dänische Lehrer wollen die Theorie vom natürlichen Alkoholdefizit überprüfen und lassen sich gezielt volllaufen. Ihre Leistungssteigerung ist jedoch nicht von Dauer. Der Film war auch “Kinotipp der katholischen Filmkritik”.

Vier dänische Lehrer wollen die Theorie vom natürlichen Alkoholdefizit überprüfen und lassen sich gezielt volllaufen. Ihre Leistungssteigerung ist jedoch nicht von Dauer. Der Film war auch “Kinotipp der katholischen Filmkritik”.

In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:

Grundsätzlich wissen wir alle um die Gefahren von übermäßigem Alkoholgenuss; nichtsdestotrotz sind die Zahlen von Alkoholsuchtkranken, rauschbedingten Unfällen etc. nach wie vor alamierend. Alkohol gehört, zumindest für sehr viele, einfach dazu, ist Teil unserer Kultur und Lebensart.

“Der Rausch” von Thomas Vinterberg erzählt davon, was für ein zweischneidiges Schwert das ist, und kassierte dafür in der Kinosaison 2020/2021 allerhand Preise, von diversen “Europäischen Filmpreisen” (unter anderem für Darsteller Mads Mikkelsen) bis zum “Oscar”,

Es geht um vier Lehrer einer dänischen Schule, die alle auf die ein oder andere Weise in einer Midlife Crisis stecken und bei einer Feier einen kuriosen Selbstversuch beschließen: Angeregt durch die merkwürdige Theorie eines norwegischen Philosophen, dass der Mensch ein biologisches Alkoholdefizit habe und nur mit einem Alkoholgehalt von mindestens 0,5 Promille im Blut zu Höchstleistungen fähig sei, gehen sie daran auszutesten, was sie mit einem erhöhten Alkoholpegel aus sich selbst und aus ihrem Leben an neuer Intensität herausholen können. Zumindest anfangs sehen sie ihre Energien tatsächlich neu angefacht; das steigert sich aber schnell bis zum Delirium…

Die Tragikomödie seziert facettenreich die Bedingungen des Alkoholismus in Wohlstandsgesellschaften und wahrt dabei gleichermaßen Abstand zur sentimentalen Buddy-Komödie wie zum moralinsauren Drama. Ein glänzend inszenierter und gespielter Film.

Die Schule ist vorbei! Nach der letzten Prüfung rasen Jugendliche mit vollen Bierkästen durch den Stadtpark und leeren die Flaschen in atemberaubender Geschwindigkeit. Muss sich jemand übergeben, so bedeutet das Punkteverlust. Volltrunken ziehen die Schüler durch die Stadt, überwältigen einen Wachmann in der U-Bahn und fesseln ihn mit seinen eigenen Handschellen an die Haltestange. Das geht weit über die üblichen Exzesse zum Schulabschluss hinaus. Genug ist genug, meint die Schulleiterin und warnt eindringlich vor den Gefahren des Alkohols. Noch weiß sie nicht, mit welchen Abgründen an Sucht sie es bald im eigenen Kollegium zu tun bekommt.

Martin (Mads Mikkelsen) war früher ein begeisterter Lehrer, der alles für seinen Beruf gab. Heute hat er keine Lust mehr. Das merken die Schüler, die seinem sprunghaften Unterricht kaum folgen können; dies macht auch den Eltern Sorge, denn sie fürchten um den Notendurchschnitt ihrer Kinder. Auch in Martins Ehe ist trotz zwei Kindern und einem schönen Eigenheim die Luft schon lange draußen.

Seinen Freunden und Kollegen geht es in Thomas Vinterbergs “Der Rausch” ähnlich. Der eine kommt mit der angespannten Familiensituation nicht klar, dem anderen bleibt nur noch der Hund. Alkohol trinken die vier Freunde, allesamt frustrierte Lehrer am selben Gymnasium, gerne, aber eigentlich immer nur, um die Widrigkeiten von Arbeit und Familienleben zu vergessen. Wenn man doch nur die Arbeit vergessen könnte!

Bei einem alkoholintensiven Geburtstagsessen kommt das Gespräch auf die merkwürdige Theorie eines norwegischen Philosophen, dass der Mensch ein biologisches Alkoholdefizit habe. Nur mit einem Alkoholgehalt von mindestens 0,5 Promille im Blut sei er zu Höchstleistungen fähig. Ein Beweis dafür sei Schriftsteller Ernest Hemingway, aber auch Winston Churchill könnte das bestätigen. Der eine habe seine besten Romane unter ständigem Alkoholeinfluss geschrieben, der andere den Zweiten Weltkrieg gewonnen.

Das wollen die vier dann auch mal probieren. Sie machen einen Selbsttest und halten auch während des Unterrichts einen bestimmten Pegel. Und siehe da: Es klappt! Der philosophisch fundierte Alkoholismus führt zu überraschend positiven Ergebnissen. Der Sportunterricht wird zu einem ganz neuen Erlebnis, der Geschichtsunterricht zum rhetorischen Höhepunkt, der die Schüler mitreißt.

Während sich die leeren Schnapsflaschen in Turnhalle und Toilette häufen und die Schüler wieder Spaß haben, bereitet das Quartett den nächsten Schritt vor – bis zum Filmriss und dem Delirium tremens. Am Ende liegt der eine volltrunken und mit schweren Schürfwunden auf dem Bürgersteig vor seinem Eigenheim, der andere in der eigenen Wohnung im Babybettchen. Im kollektiven Rausch gibt es aber auch einen, der nicht mehr aufsteht.

Der Originaltitel “Druk” bedeutet so viel wie “Noch eine Runde” und zeigt den Alkoholismus als geselliges Massenphänomen. Die schwarze Komödie handelt von ernsten Themen: Midlife-Crisis, Entfremdung in der Ehe und natürlich Alkohol. Den charakterisiert der Film, über die private Dimension hinaus, als gesellschaftliches Bindeelement, von den Abschiedsritualen der Schulzeit zum schnell gekippten Weißwein bei belastenden Beziehungsgesprächen bis hin zur gelungenen Archiv-Collage betrunkener Politiker und Staatsführer, an erster Stelle der ehemalige russische Präsident Boris Jelzin, aber auch andere, weniger bekannte Fälle.

Bei aller gesellschaftlichen Groteske vernachlässigt Vinterberg nie die Psychologie der Protagonisten und erweist sich dabei neuerlich als handwerklich versierter Regisseur, der Tempi und Emotionen beherrscht. Es gelingt ihm, in dieser Tragikomödie die Balance zwischen dem Menschlich-Tragischen und dem Grotesk-Komischen zu wahren.

“Der Rausch” ist eine glänzende Inszenierung mit außergewöhnlichen Schauspielern. Allen voran Mads Mikkelsen, doch auch die Darsteller seiner trinkfesten Freunde – Thomas Bo Larsen, Magnus Millang und Lars Ranthe – stehen ihm nur wenig nach. Die facettenreiche Auseinandersetzung mit dem Thema Alkoholismus in Wohlstandsgesellschaften gleitet dabei weder in eine sentimentale Buddy-Komödie noch in ein moralinsaures Drama ab.