1961 wurde die Berliner Mauer gebaut, doch bereits vor dem Mauerbau war Deutschland geteilt. Besonders deutlich wurde das im kleinen Dorf Mödlareuth, das genau auf der Grenze zwischen Bayern und Thüringen liegt – und das durch die innerdeutsche Grenze geteilt wurde. An diese Zeit erinnert das Neue Museum Mödlareuth, das am 2. Oktober von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und den beiden Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Mario Voigt (CDU) eingeweiht wird. Museumsleiter Robert Lebegern spricht von einem „Mikrokosmos der deutschen Teilung“.
epd: Herr Lebegern, dass Deutschland einmal geteilt war, können sich viele gar nicht mehr vorstellen. Wie lassen Sie die Teilung in Mödlareuth wieder lebendig werden?
Robert Lebegern: Mödlareuth hatte schon den Namen „Little Berlin“, als die beiden deutschen Staaten noch nicht wiedervereinigt waren. Es stellt so etwas wie einen Mikrokosmos der deutschen Teilungsgeschichte dar. In dem kleinen Ort sind noch knapp 100 der ursprünglich 700 Meter langen Betonsperrmauer im Original erhalten, die Mödlareuth seit 1966 teilte. Auch der große Beobachtungsturm und ein zusätzlicher Sicherungszaun sind vorhanden. Letzterer entstand parallel zur Mauer, nachdem dort im Mai 1973 eine Flucht geglückt war.
epd: Menschen haben die deutsch-deutsche Teilung hautnah erfahren und erlebt. Wie machen Sie diese menschlichen Schicksale deutlich?
Lebegern: Im neuen Museum haben wir eine chronologische Erzählung gewählt, eingebettet in einen Prolog und einen Epilog. Wir stellen zum einen die politische Ereignisgeschichte dar, auf der anderen Seite den Ort Mödlareuth als Mikrokosmos, als Folie und Projektionsfläche, und da haben wir sehr stark mit Objekten und Lebensgeschichten auch von Bewohnern aus Mödlareuth gearbeitet. Die einzig geglückte Flucht in Mödlareuth wird zum Beispiel in einer Vitrine dargestellt mit einer Medienstation, die auch die Motive und das spätere Ankommen im Westen thematisiert. Wir binden auch Zeitzeugen wie den Ballonflüchtling Günter Wetzel in die Dauerausstellung und auch in unsere dreitägigen Schülerseminare ein, die wir zusammen mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit veranstalten.
epd: Warum ist gerade Mödlareuth, das schon im 19. Jahrhundert getrennt war – ein Teil gehörte zum Königreich Bayern, der andere zum Fürstentum Reuß – besonders dafür prädestiniert?
Lebegern: Auch heute ist das Dorf zwar noch verwaltungsmäßig geteilt, aber die Wiedervereinigung wird hier täglich gelebt. Im Vergleich zu einer Großstadtmetropole kann die Teilungsgeschichte hier optisch übersichtlich im Freigelände noch wahrgenommen werden. Auch der Umgang mit Grenzen ist immer noch ein Thema. Hier kann man den Fokus auf die Teilungsgeschichte legen. In Verbindung mit dem neuen Museumsgebäude – das große Panoramafenster ergibt immer eine Sichtachse zum Freigelände und der Mauer – erklären wir, warum der Ort am Tannbach geteilt war und immer noch ist. In der Dauerausstellung liefern wir den historischen Kontext dazu.
epd: Es gibt so Narrative, dass die deutsche Teilung erst mit dem Berliner Mauerbau 1961 begonnen habe.
Lebegern: Schon der 26. Mai 1952 mit dem DDR-Ministerratsbeschluss „Polizeiverordnung“ der Staatssicherheit brachte die einschneidende Veränderung an der innerdeutschen Grenze. Die Monstrosität der Grenzanlagen ergab sich erst nach dem Datum des Mai 1952. Bei vielen Besuchern merkt man, dass die Überformung durch den Berliner Mauerbau im August 1961 schon sehr stark in der Erinnerungskultur haften geblieben ist.
epd: Können Sie Beispiele nennen?
Lebegern: Die bayerischen Mödlareuther konnten noch bis 1952 mit dem kleinen Grenzschein auf die DDR-Seite in die Dorfschule gehen. Mit dem Inkrafttreten der Polizeiverordnung wurde die Grenze geschlossen und sie durften über Nacht nicht mehr auf die thüringische Seite. Oder die Mödlareuther Bauern, die von einem auf den anderen Tag Ende Mai 1952 nicht mehr ihre Felder auf der thüringischen Seite bewirtschaften durften – oder umgekehrt. Oder auch der Topos, dass fast 40 Jahre absolute Funkstille beiderseits des Dorfes herrschte. Das sind alles Narrative, die so nicht stimmten. Mit unserem Museum dekonstruieren wir auf sehr vielfältige Weise unhistorische Narrative.
epd: Inzwischen ist eine Generation herangewachsen, die die deutsche Teilung nicht selbst erlebt hat. Wie ist der Wissenstand der Besucher?
Lebegern: Mit zunehmendem historischem Abstand sind die Grundkenntnisse deutlich geringer, die Nicht-Erlebnisgeneration nimmt zu. Auch das Ende der Zeitzeugenschaft macht sich bei uns bemerkbar. Manches hängt auch mit der der geografischen Distanz zur ehemaligen innerdeutschen Grenze zusammen. Im bayerisch-thüringischen Vogtland, egal auf welcher Seite, ist die ehemalige Grenze noch präsenter als für jemanden, der in München, Hamburg oder Dresden lebt.
epd: Weshalb braucht es das Museum, das jährlich von bis zu 80.000 Menschen besucht wird?
Lebegern: Wichtig ist es vor allem vor dem Hintergrund, dass man in Deutschland leider eine doppelte Diktaturerfahrung hatte. Die noch vorhandenen DDR-Grenzsperranlagen symbolisieren die Teilung wie auch den repressiven Charakter der SED-Diktatur. Wünschenswert wäre es, dass jüngere Generationen während ihrer Schulzeit eine KZ-Gedenkstätte und eine Gedenkstätte zur deutschen Teilung und SED-Diktatur einmal besucht haben. (3003/29.09.2025)