Das große Schwarze

Jeder Talar sei bei ihr ein Einzelstück, sagt die Schneiderin Doris Pause, die pro Exemplar auch mal 40 Stunden braucht.  Zu Besuch bei einer echten Handwerkerin.

Doris Pause sitzt stundenlang an der Nähmaschine
Doris Pause sitzt stundenlang an der NähmaschineRalf-Thomas Lindner

Hamburg. Ein wenig erinnert das kleine Geschäft am Hamburger Sievekingdamm 40 an einen alten Tante-Emma-Laden für die unterschiedlichsten Nähutensilien. Tatsächlich war hier ein Großhandel für jegliches Zubehör, das man in der Schneiderei und Kürschnerei zum Nähen braucht: Fäden, Garne, Ösen, Haken, Bänder, Reißverschlüsse und vieles mehr. Als Doris Pause hier als Verkäuferin anfing, war das nicht unbedingt der Traumjob für die gelernte Schneiderin.

Heute liegt das eigentliche Herz ihres Betriebes im Hinterzimmer des Geschäfts. Besucher führt Pause über eine kurze Treppe nach oben. Am oberen Ende der Treppe hängt eine rote Uniformjacke eines Star-Trek-Offiziers. Davor biegt man nach links ab und befindet sich in Pauses Schneideratelier. Hier stellt die Damenschneidermeisterin Tanzfräcke für Turniere, historische Kostüme – und Talare her. Den Verkauf von Nähzubehör hat Pause fast vollständig eingestellt.

Warten auf die Lehrstelle

Der Weg zur selbstständigen Schneidermeisterin war lang und wechselvoll. Zunächst lernte sie den Beruf der Krankenschwester, weil sie gern helfen wollte. Aber die Schneiderei war irgendwie doch mehr ihr Ding. Ihre Oma war Schneiderin – und schon als junges Mädchen hat Pause bei ihr immer genäht. In der Schulzeit hatte sie schon ein Praktikum in einem Schneidereibetrieb absolviert. Sie musste auf ihre Lehrstelle ein wenig warten, aber letztendlich bekam sie den Gesellenbrief als Damenschneiderin.

Zufälle bereiteten den Weg

Zwölf Jahre arbeitete Pause dann in der Innung als Ausbilderin. Ende der 70er-Jahre war ein Ausbildungsprogramm für Frauen ins Leben gerufen worden, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chance hatten. Zwei Zufälle bereiteten ihren weiteren Weg: Als eine Kundin sie im Geschäft am Sievekingdamm fragte, ob sie eine Schneiderin kenne, die ihr ein Futter in einen Pelz nähen konnte, bot sie sich selbst an. So gab sie quasi über Nacht ihr Verkäuferinnendasein auf und arbeite fortan in einem Brautmodengeschäft am Neuen Wall. Dort machte sie auch ihre Meisterausbildung.

Nebenbei arbeite sie aber weiter im Sievekingdamm. Als die Geschäftsführerin der Firma „Deicke Kirchenbedarf“ sie darauf ansprach, ob sie jemanden kennen würde, der Talare schneidern könnte, da ihr alter Talarschneider aufgehört habe, sagte sie sofort zu. Sie hätte zwar keine Schnittmuster für Talare und auch das nötige Spezialwissen nicht, wollte sich aber gern einarbeiten. Dieses Wissen konnte die Firma Deicke zur Verfügung stellen – und Pause hatte sofort einen Auftrag über 80 Prädikantentalare, Arbeit für mehrere Monate.

Landeskirchen geben Stil vor

Die evangelischen Landeskirchen geben stilistisch sehr genau vor, wie die Talare auszusehen haben, die die Pastoren und Pastorinnen im liturgischen Rahmen tragen dürfen. Die Talare sollen modisch unauffällig sein und den Träger hinter seiner Aufgabe, der Verkündigung des Evangeliums, zurücktreten lassen.

Ralf-Thomas Lindner

Etwa 4 ,5 Meter Wollstoff und 15 Stunden Arbeitszeit benötigt Pause für einen preußischen Talar. Viel Arbeitszeit benötigen dabei die Raffungen („Smog“) über der Brust. Der auch in Hamburg getragene Hamburger Ornat ist ein Doppelgewand mit Unterhabit und Oberhabit. Dafür wird die doppelte Stoffmenge benötigt, und die Fertigungszeit liegt bei mindestens 40 Arbeitsstunden. Zeitfresser hierbei sind unter anderem die 17 handgestickten Knopflöcher im Unterhabit.

„Jeder Talar ist ein Einzelstück und wird für den Träger und seine Bedürfnisse persönlich angepasst“, sagt Pause. Sie weiß, dass sich der Träger in seinem Kleidungsstück wohlfühlen muss. In das Rückenteil der Innenseite hat sich eine Pastorin vor einiger Zeit einen Spruch einarbeiten lassen. Dort steht nun auf violettem Untergrund in Hebräisch: „Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir.“ Das ist das Letzte, was die Pastorin nun sieht, wenn sie den Talar anzieht, bevor sie ihren Dienst versieht.