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“Damals ging man davon aus, dass nach 30 Jahren neu gebaut wird”

Der Investitionsstau an bayerischen Hochschulen steigt Jahr für Jahr. Viele Gebäude sind in einem desolaten Zustand, die Hochschulen kommen mit dem Sanieren nicht hinterher. Der Architekt und ehemalige Dekan der Architektur-Fakultät der Technischen Hochschule Nürnberg, Hartmut Niederwöhrmeier, ordnet im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) ein, wie es zu dieser Situation kam.

epd: Herr Niederwöhrmeier, viele bayerische Hochschulgebäude sind in einem schlechten baulichen Zustand. Es regnet rein oder es gibt Schimmel, Labore sind technisch nicht nutzbar, oder die Schadstoffbelastung durch PCB und Asbest ist hoch. Was ist all diesen Gebäuden gemeinsam?

Hartmut Niederwöhrmeier: Grundsätzlich ist dieses Schadensbild nicht abhängig vom Alter der Gebäude, sondern von der Planungs- und Ausführungsqualität und der Pflege. Jetzt ist es aber so, dass viele Gebäude vor allem aus den 1960er und 70er Jahren stammen. Da hatten wir einen großen Bauboom, weil die Studierendenzahlen stark angestiegen sind. In Bayern wurden viele Universitäten um diese Zeit neu gegründet, zum Beispiel Augsburg, Regensburg und Bayreuth. Damals musste man dieses Bauvolumen kostengünstig bewältigen. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel das Marburger Bausystem, im Prinzip das erste Fertigteilbaukonzept.

epd: Und diese Gebäude sind heute in keinem guten Zustand mehr?

Niederwöhrmeier: Gerade der Sichtbeton hat einen Pflege- und Unterhaltsbedarf. Er kann abplatzen, oder es entsteht Korrosion. Zudem hat man in diesem Bauboom auch weniger erprobte Materialien eingesetzt. Heute beklagt man die mangelnde energetische Effizienz, aber damals war das guter Standard, der realisiert wurde. Die große Struktur der Gebäude war darauf angelegt, 50 bis 100 Jahre auszuhalten.

epd: 50 Jahre sind jetzt vorbei, ist damit die Zeit für die Gebäude gekommen?

Niederwöhrmeier: Damals war die Mentalität, dass man Gebäude für eine Betriebszeit von 30 bis 50 Jahren gebaut hat, und dann ging man ohnehin davon aus, dass neu gebaut wird. Das war der damalige Fortschrittsglaube und die Vorstellung von unbegrenzten Ressourcen. Man hat aber durchaus Erneuerungsintervalle erkannt – es gibt typische Zyklen für Gebäude. Man muss dabei die Lebensdauer der einzelnen Bauteile differenzieren. Türen oder Fenster halten 20 bis 50 Jahre, eine Fassade 20 bis 40 Jahre, Fußböden 15 Jahre oder bis zu 50, wenn Naturstein dabei ist. Und der Rohbau, die Struktur, hält 50 bis 150 Jahre. So müsste unterschieden werden, wenn man eine sorgfältige Analyse zur Sanierung machen will.

epd: Wenn damals schon klar war, dass es diese Sanierungsintervalle gibt, wie kam es zu dem heutigen Zustand?

Niederwöhrmeier: Das ist das Thema Instandhaltung und Sanierung. Ein Auto bringen wir regelmäßig zur Inspektion. Bei einem Haus macht das der Hausmeister, aber da wurde viel eingespart. Man muss einfach feststellen, selbst bei Neubauten, dass Häuser nicht richtig genutzt werden. Man muss ein Haus erstmal verstehen, um zu wissen, wie es sich verhält und arbeitet. Wenn es dann bröckelt, müsste jemand da sein, der sich für dieses Haus verantwortlich fühlt, es pflegt und unterhält. Aber wir sagen an vielen Stellen, das sanieren wir irgendwann mal. Wenn irgendwo ein Riss ist, muss das aber sofort in Ordnung gebracht werden. Und es muss dafür auch genügend Geld zurückgestellt werden. Da ist die Politik leider auf dem völlig falschen Dampfer. Es wird lieber ein neues Gebäude eröffnet, als dass eine Sanierung auf den Weg gebracht wird.

epd: Im Rahmen der Hightech Agenda Bayern gibt es seit einigen Jahren wieder eine Modulbau-Offensive bei neuen Gebäuden. Wie bewerten Sie dieses Vorgehen?

Niederwöhrmeier: Sie wollen damit ähnlich wie in den 70er Jahren mit vorgefertigten Elementen den Hochschulbau vorantreiben. Das findet aber nicht mehr auf regionaler Ebene statt, sondern diese Projekte werden oft an überregionale oder ausländische Generalübernehmer vergeben. Dadurch kann aber die Qualitätskontrolle nicht mehr gewährleistet werden, denn alles liegt in einer Hand. Die Generalübernehmer arbeiten maximal gewinnorientiert und liefern das Minimum. Ich denke, dass heute Bauten entstehen, die nicht in 50 Jahren die Sanierungsfrage aufwerfen, sondern schon früher. Diese Firmen unterhalten das Gebäude für 25 oder 30 Jahre – und danach, wenn es ohnehin den kritischen Zyklus erreicht, fällt es zurück in die Hände des Freistaats. So trägt es zum Sanierungsstau bei.

epd: Was müsste anders gemacht werden, damit in wenigen Jahrzehnten nicht dieselbe Situation eintritt wie heute?

Niederwöhrmeier: Eine wichtige Konstante für die Qualität der Bauten ist die Zusammenarbeit von Bauherr, Architekt und Bauunternehmer. Dahinter steht die Trennung von Planung und Ausführung. Nur dies ermöglicht eine bessere Qualitätskontrolle. Dieses altbewährte System sollte man wieder mehr in den Vordergrund stellen. Zudem muss man für jedes Bauwerk Rücklagen für die Instandhaltung bilden, nämlich ein bis eineinhalb Prozent der ursprünglichen Baukosten. Und dann muss jemand da sein, der über dieses Geld verfügt und es projektbezogen kurzfristig und richtig einsetzt – jemand, der eine Bindung an das Gebäude hat. Leisten können das die staatlichen Universitätsbauämter. (3107/07.10.2025)