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Chancen. Und Risiken

Wissenschaftler fordern die Öffnung des Embryonenschutzes für medizinische Zwecke. Da gibt es Widerspruch von verschiedenen Seiten

vchalup - Fotolia

Ein Wunschtraum vieler Menschen: Dass eines Tages Erbkrankheiten, Aids oder Krebs heilbar sind. Neue Hoffnung in diese Richtung macht eine Methode mit der fast unaussprechlichen Bezeichnung „Crispr-Cas9“. Dahinter verbirgt sich ein Verfahren zur Veränderung von Erbgut bei Pflanzen, Tieren und auch beim Menschen. Präzise kann die Gen-Schere Erbgut verändern, Teile kopieren oder herauslöschen wie in einem Textdokument.
Die Neuentdeckung schicke sich an, „unsere Lebenswelt radikal zu verändern“, urteilte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, der evangelische Theologe Peter Dabrock, kürzlich zu dem Thema. Damit verbunden seien „unerwartete Chancen“, aber auch „kaum kalkulierbare Risiken“.

Embryonenschutzgesetz seit 1990 unangetastet

Das Verfahren wurde 2012 von der französischen Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier vom Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und von der US-Biochemikerin Jennifer Doudna aus Berkeley erfunden. Vor diesem Hintergrund fordern nun  deutsche Wissenschaftler, die bislang streng verbotene Forschung an Embryonen für Verfahren der Genomchirurgie zu ermöglichen. Ende März veröffentlichte die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina eine Stellungnahme, mit der sie eine breite Diskussion über den künftigen Umgang mit der Genomchirurgie anstoßen möchte. Die brisanteste Forderung darin ist die nach einer Öffnung des Embryonenschutzgesetzes. Aber auch im Blick auf das Gentechnik-Gesetz wirft Crispr-Cas9 Fragen auf.
Die elf Leopoldina-Wissenschaftler, die unterschiedlichen  Disziplinen angehören, sprechen sich in ihrer Stellungnahme  dafür aus, die Grundlagenforschung an sogenannten verwaisten Embryonen zu erlauben, die bei künstlichen Befruchtungen übrig bleiben und dafür nicht mehr verwendet werden. Damit rühren sie an einem heiklen Thema. Das 1990 verabschiedete Embryonenschutzgesetz mit seinem klaren Verbot solcher Forschung wurde seitdem nicht angetastet.
Inzwischen hätten sich aber durch die Genomchirurgie neue medizinische und biologische Möglichkeiten ergeben, sagt der evangelische Theologe Klaus Tanner, einer der elf Autoren (siehe UK 17/2017, Seite 4). Der Heidelberger Professor für Systematische Theologie und Ethik fordert eine Debatte um den Status verwaister Embryonen, auch in den Kirchen,  und betont: „Der Kampf gegen Leiden ist mit der christlichen Ethik verbunden.“ Die Methoden seien billig, einfach zu handhaben, breit anzuwenden und eventuell vielversprechend für die Therapien schwerer Krankheiten wie Krebs.
Der Umgang mit bei In-vitro-Fertilisationen übrig geblieben Embryonen hat vor längerer Zeit auch den Ethikrat beschäftigt. Der Jurist Steffen Augsberg, seit vergangenem Jahr Mitglied in dem Expertengremium, sieht die Forderung der Leopoldina-Forscher skeptisch. „Wir haben es hier mit massiven verfassungsrechtlichen Problemen zu tun“, sagt er. Momentan hätten Embryonen einen sehr weitreichenden Schutz, „egal ob im Mutterleib oder in der Pe-
tri-Schale“. „Daraus folgen unmittelbare rechtspolitische Stoppsignale“, betont der Gießener Professor. Es gebe nicht die Freiheit, sich jetzt einfach für eine liberalere Regelung zu entscheiden.
Die Stellungnahme der Leopoldina kritisierte er als „bewusst unterkomplex“. „Die Forschung an Embryonen ist ein viel zu wichtiges und komplexes Thema, als dass man es auf zehn ausgesprochen großzügig formatierten Seiten sinnvoll bearbeiten kann.“ Dennoch sieht er durch Verfahren wie Crispr-Cas9 die Politik herausgefordert – allerdings zuerst im Bereich Landwirtschaft und Tierzucht. Denn weltweit arbeiten Forscher daran, Nutzpflanzen robuster und ertragreicher zu machen.
Am heikelsten sind aber gentechnische Veränderungen der menschlichen Keimbahn. Solche Eingriffe seien nicht rückgängig zu machen und prägten alle künftigen Generationen, warnt der Theologe Dabrock. Auch die Leopoldina-Stellungnahme betont, dass jede gezielte Keimbahnveränderung „beim derzeitigen Stand der Forschung unterbleiben“ solle. Dazu sei noch viel Forschung notwendig.
Erst recht lehnen die Leopoldina-Forscher den Einsatz der neuen Verfahren zur Verbesserung von Eigenschaften des Menschen ab. „Derartigen Interventionen stehen derzeit gewaltige Wissenslücken und nicht abschätzbare Risiken entgegen“, heißt es deshalb in dem Diskussionspapier der Leopoldina.

Ziel ist nicht, den Menschen zu optimieren

Derzeit wird auch darüber gestritten, was ein genveränderter Organismus im Sinne des Gentechnikgesetzes ist. Genomchirurgie verändere Organismen in einer Weise, dass am Ende der Unterschied zwischen künstlicher oder natürlicher Gen-Veränderung nicht erkennbar sei, sagt das Ethikrat-Mitglied Augsberg. Damit sei offen, ob man das restriktive Gentechnik-Gesetz auf das Verfahren erstreckt oder einen mit Crispr-Cas9 veränderten Organismus wie das Ergebnis eines herkömmlichen Zuchtverfahrens betrachtet. Das müsse politisch entschieden werden, sagt der Jurist Augsberg.
Von Eingriffen ins Embryonenschutzgesetz rät er aber ab, auch weil derzeit im Prinzip weltweit Einigkeit darüber bestehe, dass Cripr-Cas9 nicht für Eingriffe in die menschliche Keimbahn genutzt werden sollte. „Die ersten Versuche in China, bei denen es um HIV-Resistenzen geht, sind noch sehr primitiv“, erklärt Steffen Augsberg: Man sei noch weit entfernt von einer Anwendungsfähigkeit.
Auch den Crispr-Cas9-Erfinderinnen ist die Brisanz bewusst. Die Molekularbiologin Doudna organisierte 2015 einen Ethikgipfel in den USA. Ergebnis: eine freiwillige Selbstbeschränkung der Wissenschaft. Grundlagenforschung soll vorangetrieben, die Keimbahn-Therapie aber – zumindest für mehrere Jahre – geächtet werden.