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Besondere Herausforderung – Studium in der ersten Generation

Der Blutdruck steigt, der Kopf schwirrt, die Gedanken rasen – nur in keine vernünftige Richtung. So kann es Studierenden gehen, die sich überfordert oder einen hohen Leistungsdruck fühlen, gar Prüfungsangst.

Etwa 15 bis 25 Prozent der Studierenden leiden laut Studien unter erhöhter Prüfungsangst – sorgen sich also, eine Prüfung nicht zu bestehen. Das sagt Psychologieprofessor Tobias Ringeisen an der Berlin School of Economics and Law. Dazu gehöre die mangelnde Überzeugung, eine Leistung grundsätzlich erbringen zu können. “Das ist ungünstig für das Bestehen und korreliert auch mit schlechteren Leistungen und einem höheren Risiko des Durchfallens”, erklärt Ringeisen. Mangelnde Zuversicht sei eine entscheidende Facette bei Prüfungsangst.

Diese Zuversicht will Lisa Maria Dziobaka vermitteln. Sie hat als erste in ihrer Familie studiert, stammt aus einer klassischen Arbeiterfamilie im Ruhrgebiet, wie sie berichtet: “Mein Papa ist Bergmann und meine Mama Krankenschwester.” Eine Schulfreundin habe sie gefragt, ob sie mit zur Studienberatung kommen wolle – für sie “ein sehr, sehr wichtiger Moment”. Bis dahin sei ein Studium bei ihr noch gar nicht “auf dem Tisch” gewesen. Jetzt wolle sie selbst anderen Mut zum Studieren in erster Generation machen, sagt sie im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Inzwischen unterstützt die 38-Jährige nämlich Ehrenamtliche bei ihrem Engagement für Menschen, die in erster Generation studieren. Die hauptamtliche Mitarbeiterin der gemeinnützigen Organisation Arbeiterkind.de koordiniert im Team das Ehrenamtsmanagement in Nordrhein-Westfalen, insbesondere für das Ruhrgebiet und das Bergische Land.

Häufig geht es um das richtige Verhalten an Universitäten: Wie spreche ich Professorinnen und Professoren gut an? Oder: Wie schreibe ich eine Hausarbeit? Wie kann ich Angebote in Anspruch nehmen und welche gibt es überhaupt – etwa Stipendien. “Wenn man die Frage nicht kennt, dann kann man sie nicht stellen”, erklärt Dziobaka. Häufig seien Themen schwer greifbar. Sie weist darauf hin, dass das auch die Sprache eine Hürde sein kann. “Unser Lieblingsbeispiel ist der Career-Service”. Sie selbst habe gedacht, sie mache doch keine Karriere – und nicht verstanden, dass es einfach um ihren Berufsweg gehe.

“Der finanzielle Druck ist die größte Hürde”, sagt Dziobaka weiter. Daran scheitere es häufig, überhaupt ein Studium aufzunehmen. Wohnungsnot und enorm hohe Mieten tragen derzeit ihren Anteil dazu bei. “Gleichzeitig gibt es immer weniger Wohnheime und zunehmend mehr belastende Notschlafplätze etwa in Turnhallen.” Die neue Studienstarthilfe sei zwar eine gute Sache, greife aber erst nach der Einschreibung. Doch viele könnten sich bereits den Semesterbeitrag, der dafür nötig sei, nicht leisten.

Eine bestimmte Studienleistung sei mit zeitweise drei Nebenjobs dann auch deutlich schwieriger zu erreichen. Hinzu kommen unerwartete Ausgaben für das Studium: “Ein solcher Moment war in meinem Fall, als ich eine Exkursion nicht bezahlen konnte”, berichtet die ehemalige Studentin der klassischen Archäologie und Kunstgeschichte. Sie brauchte damals Mut, um dies ihrer Dozentin zu sagen, die bis dahin dachte, Dziobaka fahre nicht mit, weil sie das Seminar schrecklich fände. Für zukünftige Exkursionen kümmerte sich die Dozentin dann um finanzielle Möglichkeiten für ärmere Studierende.

Stellen für finanzielle Beratung gebe es zudem nicht überall. Zum Bafög informierten die Studierendenwerke, aber “eine umfassende finanzielle Beratung gibt es meiner Beobachtung nach nicht abdeckend”. Es fehle an Informationen zu Stipendien oder Talentscouts – und auch dazu das eigene Talent erst einmal selbst zu erkennen. “Das Thema Zeit ist außerdem ein ganz großer Faktor, dass du viel länger studieren musst als andere, weil du nebenher arbeiten musst”, sagt Dziobaka. Bei ihr seien es 15 Semester gewesen. “Gar nicht so furchtbar dramatisch”, findet sie. Es gehe am Ende tatsächlich mehr um die Note.

Doch gerade die Notenvergabe setzt viele unter großen Druck: Beispielsweise, wenn Professoren sagen, in meiner Prüfung fallen durchschnittlich 70 Prozent durch. “Meist geht es um Erwartungen, die Personen selbst haben”, erläutert Ringeisen. Sie könnten aber auch von anderen kommen, beispielsweise von den Eltern – etwa, wenn sie drohen, bei Nicht-bestehen das Studium nicht weiter zu finanzieren.

Für Eltern, die selbst nicht studiert haben, stelle sich allerdings häufig die Sicherheitsfrage: “Wann bist du fertig, wann kannst du Geld verdienen und für dich sorgen?” Gerade in Abschlussphasen stehe man sehr allein da, wenn Eltern nicht helfen könnten, hat Dziobaka beobachtet. Anfangs schäme man sich, andere nach Unterstützung zu fragen, da es sich wie ein Versagen anfühle. “Dabei haben Menschen aus akademischen Familien ja auch Unterstützung an vielen Stellen.”

Mehrere Tausend Ehrenamtliche der Organisation Arbeiterkind.de begleiten Studierende an allen deutschen Hochschulen. Das Angebot ist niederschwellig, ohne feste Sprechzeiten. “Das können Studienberatungen in dem Umfang gar nicht leisten”, sagt Dziobaka. Die Ehrenamtlichen gehen persönlich auf die Studierenden ein, zeigen ihnen den Campus und berichten von eigenen Erlebnissen. Auch psychologische Beratung ist an Hochschulen meist möglich: Wer also seine Zuversicht stärken will, kann Lösungen für hemmenden Leistungsdruck und Angstgefühle erarbeiten.