Bauarbeiten legen rätselhaften Schriftzug offen

Bei Bauarbeiten in Hamburg-Ottensen wurde an einem denkmalgeschützten Haus ein 70 Jahre altes Wandbild gefunden.

Der Schriftzug zeigt ein Bibelzitat aus dem Buch der Sprüche Salomos (14,34).
Der Schriftzug zeigt ein Bibelzitat aus dem Buch der Sprüche Salomos (14,34).epd

Hamburg. Bei Bauarbeiten an einem denkmalgeschützten Haus von 1881 in Hamburg-Ottensen ist ein altes Wandbild entdeckt worden. Der Schriftzug zeigt das Bibelzitat "Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben" aus dem Buch der Sprüche Salomos (14,34). Die Worte wurden sichtbar, als die Dämmung an der frei stehenden Stirnseite des Gebäudes entfernt wurde. Das Denkmalschutzamt Hamburg bestätigte dem epd, dass die Worte zwar erhalten werden, allerdings unter einer neuen Dämmung wieder verschwinden sollen.

Ein weit sichbares Zeichen

Vermutlich wurde das Wandbild vom damaligen Pastor der benachbarten Osterkirche, Ernst Hildebrand, initiiert. Der evangelische Theologe war ab 1931 Pastor in Altona, erst an der Kreuzkirche (Hohenzollernring), später an der Osterkirche in der Zeißstraße. Nach dem Krieg wurde er 1946 Propst von Altona und starb 1962 in Hamburg-Blankenese. Weil Hildebrand während der NS-Zeit der Bekennenden Kirche angehörte, wurden die mahnenden Worte mit der Nazi-Diktatur in Zusammenhang gebracht – oder gar als Protest gegen sie.

Kirchenhistoriker: Eine Bitte an die Besatzungsmächte

Der Hamburger Kirchenhistoriker Stephan Linck hat herausgefunden, dass die Inschrift eindeutig nach 1945 angebracht worden sein muss. Und es ging nicht um die Nazis, sondern um die Besatzungsmächte, in Hamburg konkret um die Engländer. Linck grub ein altes Protokoll der Altonaer Propstei-Synode vom 4. Juni 1947 aus. Thema von Propst Hildebrandt war die Freilassung der Kriegsgefangenen: "Die Kirche weiß wohl darum, daß wir als besiegtes Volk nichts zu fordern haben. Wir können nur bitten", sagte er damals. Aber zur Unterstreichung dieser Bitte ließ er den "Ruf nach Gerechtigkeit" weithin sichtbar an der Hauswand anbringen, ist Linck überzeugt.

Denkmalschutz: Schriftzug wird wieder verdeckt

Das Denkmalschutzamt habe den Schriftzug dokumentiert, sagte der zuständige Referent für Altona, Alexander Krauß. Energetische Belange müssten eben auch bedacht werden, sagte er. So steht es im Denkmalschutzgesetz. "Es wäre nicht ratsam, eine Dämmung an der gesamten Seite des Hauses zu versagen", so Krauß. Die Baufirma habe die Dämmung so angebracht, dass die Anker den Schriftzug nicht beschädigen. "So bleibt er ja erhalten", sagte der Denkmalschützer. (epd)