Aufklärung soll Verbesserungen vorantreiben

Pastor Holger Nollmann, der neue Referent für das Projekt „Kirche im Sozialraum“, ist ein gefragter Experte. Denn bislang legen Gemeinden den neuen Begriff unterschiedlich aus.

Haltungsfrage: Bei der Sozialraum-Orientierung ist ein Umdenken der Kirchengmeinden nötig.
Haltungsfrage: Bei der Sozialraum-Orientierung ist ein Umdenken der Kirchengmeinden nötig.epd/Stephan Schwier

Hannover. „‚Sozialraum‘ ist ein weiter Begriff. Jeder versteht darunter etwas anderes“, sagt Holger Nollmann. „Sozialraum“ sei in der Wissenschaft sehr belegt, für die Kirche zunächst nur ein Hilfsbegriff. „Ich verstehe darunter, dass die Kirche nicht nur im Stadtteil präsent ist, sondern dass sie an den Beziehungen der Menschen teilhat“, so der Pastor. Es gehe dabei um den Raum, den Menschen schaffen, in dem sie miteinander zu tun haben, miteinander reden, also beim Bäcker, beim Arzt oder in der Schule.

Seit Jahren beschäftigt sich Holger Nollmann mit dem Sozialraum, zuletzt als Gemeindepastor in Bochum und als Dozent für Sozialraumorientierung an einer Hochschule. Seit Juni ist er nun in der Landeskirche Hannovers als neuer Theologischer Referent für das Projekt „Kirche im Sozialraum“ tätig. Nollmann soll das Thema zusammen mit seinem Kollegen Peter Meißner, der die Gemeinwesendiakonie im Blick hat, dem Pastoren-Nachwuchs, aber auch anderen kirchlichen Berufsgruppen nahe bringen.

„Die Öffnung der Kirche in den Sozialraum hinein wird von vielen Pastoren als eine der wichtigsten Entwicklungen der Kirche in den kommenden Jahren angesehen“, betont Nollmann. Deswegen sei die Stelle, die im Haus kirchlicher Dienste in Hannover angesiedelt ist, eingerichtet worden.

Hingehen, hören und sehen, was Menschen bewegt

Angesichts der Unklarheit, was Sozialraum denn genau meint, seien manche der Meinung, ihn schon längst im Blick zu haben, so der 56-jährige Theologe. Doch da sei noch viel Luft nach oben. „Mir geht es um eine grundsätzliche Ausrichtung kirchlichen Wirkens und eine Besinnung darauf, was unsere Aufgabe als Volkskirche unter veränderten Rahmenbedingungen ist. Wollen wir uns zukünftig auf den Kreis der Hochverbundenen zurückziehen? Oder wollen wir uns nach draußen orientieren?“ Für Nollmann ist die Antwort klar: „Christus ist uns in den Sozialraum längst vorausgegangen.

Bei der Sozialraum-Orientierung steht die Frage im Mittelpunkt, was im Stadtteil gebraucht werde und wie sich die Kirchengemeinde zusammen mit anderen Akteuren engagieren könne, beschreibt Pastor Nollmann die jetzt nötige Herangehensweise. „Hingehen, hören und sehen, was die Menschen bewegt und was sie brauchen. Nicht alles schon vorher wissen.“ Entscheidend sei auch, „die Sprache der Menschen“ zu sprechen und mit ihnen zusammen die Spuren Gottes in ihrem Quartier zu entdecken, sagt Nollmann.

Kirche als Haus für Kultur, Religion und Soziales entwickeln

„Etliche Gemeinden haben bereits Projekte vorzuweisen, die aus dieser Haltung heraus entstanden sind“, so Nollmann. In seiner ehemaligen Gemeinde in Bochum sei zum Beispiel eine Kirche zu einem Stadtteilzentrum mit Veranstaltungs­räumen, Büros und einer Kapelle ausgebaut worden. Das Zentrum sei offen für alle Bewohner.
„Die Kirche ist jetzt ein Haus für Kultur, Religion und Soziales“, resümiert der Pastor, der das Projekt im Rahmen eines Stadtentwicklungsprozesses begleitet hat. Hier könnten sich Menschen begegnen und austauschen.

Gleichzeitig sei das Stadtteilzentrum jedoch in der Trägerschaft der Kirchengemeinde geblieben. „Und die Kapelle ist die Herzkammer des Ganzen.“ Es gibt so viele soziale Herausforderungen, bei denen die Gesellschaft nicht auf die Mitwirkung der Kirche verzichten kann, so der Pastor weiter. Als Quartiers­experten könnten sich die Kirchengemeinden hier mit all ihren Kompetenzen und Ressourcen einbringen.

„Schütteln und hinausgehen“

Das gilt auch für viele ehrenamt­liche Mitarbeitende, die in der Gemeinde Verantwortung tragen. „Deren Wissen um den Stadtteil oder das Dorf könnte noch viel besser eingebracht werden“, ist Nollmann überzeugt. Umso bedauerlicher sei es, wenn durch die anhaltenden „Finanz- und Schrumpfungsdebatten“ Gemeinden nur auf sich selbst schauen und sich mehr und mehr zurückziehen.

„Wir müssen uns jetzt einmal kräftig schütteln und dann umso fröhlicher hinausgehen“, sagt Nollmann. Denn so, wie es die Kirche in den zurückliegenden 150 Jahren gemacht habe, gehe es eben nicht weiter. „Die Menschen sollen wieder neu entdecken können, dass Kirche direkt etwas zu ihrer Lebensqualität im Quartier beiträgt.“