Auf wenige Schultern verteilt

Kinder und Jugendliche aus schwierigen Lebensverhältnissen kommen oft in Einrichtungen der Diakonie unter. Die Teams waren in der Pandemie extrem gefordert – und werden es wohl auch bleiben.

Alltag im Elisabethheim Havetoft, einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Betreuerin Wiebke Detlefsen nimmt einen Jungen Huckepack
Alltag im Elisabethheim Havetoft, einer stationären Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe. Betreuerin Wiebke Detlefsen nimmt einen Jungen HuckepackHamel / Diakonie SH

Rendsburg. Es gab Mitarbeiter, die mit ihrem Koffer eine Zeit lang komplett in die Wohngruppen gezogen sind. Andere sind in einer Art „Tunnel-Quarantäne“ zwischen ihren Familien und ihrem Arbeitsplatz in der Kinder- und Jugendhilfe hin- und hergependelt, um die Ansteckungsgefahr möglichst gering zu halten, erzählt Landespastor und Vorstandsvorsitzender des Diakonischen Werkes Schleswig-Holstein, Heiko Naß, bei einer virtuellen Pressekonferenz. „Corona hat nicht nur Familien, sondern insbesondere Wohngruppen der stationären Kinder- und Jugendhilfe herausgefordert.“

Unter dem Dach der Diakonie Schleswig-Holstein gibt es etwa 1800 Plätze in der stationären Kinder- und Jugendhilfe für Kinder aus schwierigen Lebenslagen. In Wohngruppen leben meist zehn Kinder und Jugendliche zusammen, sie sind zwischen 8 und 15 Jahren alt. „Man muss diese gesamtgesellschaftliche Leistung unserer Mitarbeiter würdigen. Sie haben es geschafft, mit den Kindern durch diese schwierige Zeit zu gehen und sie emotional aufzufangen“, sagt Naß. Aber auch die Kinder und Jugendlichen hätten viel geleistet.

Homeschooling machte Probleme

Die Einschränkungen im Bewegungsradius, für Sport, Ausflüge oder auch den Kontakt mit der Familie seien groß gewesen, bestätigt Claudia Langholz, Geschäftsführerin Kinder- und Jugendhilfe in der Gruppe Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie. Auch der Heimunterricht stellte die Einrichtungen vor zahlreiche Herausforderungen: „Stellen Sie sich zehn Kinder in unterschiedlichem Alter vor, die gehen alle auf unterschiedliche Schulen, die ganz unterschiedlich mit dem Homeschooling umgegangen sind“, sagt Langholz. Es mussten auch erstmal genügend Computer für die Kinder organisiert werden.

Mitarbeiter noch nicht geimpft

Gleichzeitig hätten das gemeinsame Kochen und Essen und Aktivitäten innerhalb der Wohngruppen sehr an Bedeutung gewonnen. „Unsere Mitarbeiter hatten viele kreative Ideen – wir haben das insgesamt richtig gut gemeistert“, sagt Langholz. Aktuell befinde man sich in einer Umbruchphase: Dank der gelockerten Maßnahmen könnten Kinder und Jugendliche wieder an Aktivitäten außerhalb der Wohngruppe teilnehmen. Gleichzeitig seien sie so wie die meisten Mitarbeiter noch nicht geimpft und müssten sich weiterhin an Masken- und Abstandsregeln halten.

Die Corona-Pandemie habe auch strukturelle Probleme und den Fachkräftemangel wie unter einem Brennglas gezeigt, erläutert Langholz. Diakoniechef Naß bestätigt, dass mehr Personal für die Wohngruppen nötig sei. Hier sind die Kostenträger gefragt. „Aktuell sind für zehn Kinder etwa fünf Stellen vorgesehen, es müssten jedoch drei oder vier Stellen mehr sein.“ Die qualitativen Anforderungen seien in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Supervision und Deeskalationstraining würden immer wichtiger.

„Das kann man nicht aufholen“

Außerdem rechnet Naß damit, dass in den kommenden Monaten mehr Kinder aufgenommen werden müssten. „Viele Fälle von Kindeswohlgefährdungen werden sich erst nach und nach zeigen – das ist eine ganz wichtige Aufgabe für die nächsten Monate, auf die wir uns einstellen müssen.“ Man habe entsprechende Rückmeldungen von Erziehungsberatungen und Kinderschutzzentren bekommen.

Phillip Diestel, Referent für Kinder- und Jugendhilfe, weist darauf hin, wie wichtig Gemeinschaft Kindern in den Einrichtungen sei. „Die Jugendlichen konnten ein Jahr in ihrer Entwicklung nicht richtig meistern. Bei den jüngeren Kindern ist die Beziehung zu ihren Familien ganz wichtig, bei Jugendlichen die Peergroup für die Entwicklung. Jugend ist eine ganz wichtige Findungsphase – die kann man nicht aufholen.“ Wichtig sei deshalb jetzt nicht nur ein schulisches Aufholprogramm, sondern auch mehr Möglichkeiten, sich mit Gleichaltrigen treffen zu können. „Treffen auf dem Basketballplatz, dem Bolzplatz und in Vereinen – das braucht es jetzt für die Kinder und Jugendlichen.“