Auf Spurensuche am Sammelgrab

Der Heizungskeller der Lambertikirche birgt ein Geheimnis, das Historiker umtreibt: Wer liegt im eingemauerten Grab?

Wer liegt in diesem Sammelgrab?
Wer liegt in diesem Sammelgrab?Kerstin Kempermann

Oldenburg. Es klingt ein bisschen wie die Spurensuche in einem Krimi, wenn Pastor Ralph Hennings über den eingemauerten Sammelsarg im Heizungskeller der Oldenburger Lambertikirche spricht. „Wir gehen davon aus, dass sich darin die Knochen zweier Männer und weitere Knochen anderer Menschen und eventuell auch einiger Säugetiere befinden“, berichtet Hennings. Vor allem die beiden Männer interessieren derzeit Historiker in Deutschland und den Niederlanden. Denn es wird vermutet, dass es sich dabei um Graf Christoph von Oldenburg (1504-1566) und den niederländischen Freiheitskämpfer Adolf von Nassau (1540-1568) handelt.
Seit der Oldenburger Theologe gemeinsam mit dem Groninger Historiker Lammert Doedens die These veröffentlicht hat, dass die Überreste Adolfs von Nassau im Sammelsarg in Oldenburg liegen könnten, ist das Interesse an dem derzeit noch immer eingemauerten Sarg stark gestiegen. Denn in Holland ist der Bruder des Fürsten Wilhelm von Oranien eine Legende des Spanisch-Niederländischen Krieges. Adolf von Nassau hatte als Feldherr an der ersten großen Schlacht des Freiheits- und  Religionskampfes teilgenommen. Die Niederländer gewannen zwar die Schlacht, doch Adolf selbst starb. Er wurde zunächst in einer Klosterkirche in der Nähe von Groningen beigesetzt, später jedoch aus Angst vor der Rache der Spanier an einen geheimen Ort gebracht.

Seit 20 Jahren auf der Suche

Seit mehr als zwei Jahrzehnten sucht der niederländische Historiker Doedens nach dieser Grabstelle und hofft nun, in Oldenburg fündig geworden zu sein. „Doedens hat diese These mittlerweile so gut begründet, dass wir den Sarg öffnen wollen, um herauszufinden, ob Adolf in diesem Sammelsarg liegt“, berichtet Hennings.
Bis zur Gewissheit über die Identitäten der Individuen im Sammelsarg wird es aber noch einige Zeit dauern. „Wir sind derzeit dabei, alle Genehmigungen einzuholen und die Untersuchung zu planen“, berichtet Hennings. Wenn alle Genehmigungen – unter anderem muss auch die Oldenburger Grafenfamilie zustimmen – vorliegen, wird die Wand im Heizungskeller geöffnet und der Sarg herausgeholt. Dann könnte auch Graf Christoph von Oldenburg endlich eine angemessene Ruhestätte bekommen.

Graf Christoph führte die Reformation ein

„Bei Adolf von Nassau ist es nur eine begründete Vermutung, bei Christoph von Oldenburg sind wir uns relativ sicher, dass seine Gebeine in dem Sarg liegen“, erklärt Hennings. Und er fügt hinzu: „Es wäre toll, wenn wir ihm bis 2017 eine richtige Ruhestätte geben könnten. Denn Christoph von Oldenburg förderte die Reformation in Oldenburg sehr stark. Er führte sie quasi ein.“
Dass dieser Oldenburger Graf im Sammelgrab liegt, belegt ein Grabungsbericht von 1937. Damals wurde unter der heutigen Vorhalle der Heizungskeller gegraben. Doch da an eben diesem Platz in der mittelalterlichen Kirche der Altar gestanden hatte, befanden sich genau dort auch die prominentesten Gräber. „Damals hat man es in Kauf genommen, die Grablegung zu zerstören“, berichtet Hennings.
Graf Christophs Bruder, der regierende Graf  Anton I., und seine Frau Sophie wurden damals in neue Holzsärge nach historischem Vorbild gelegt. Doch obwohl auch Graf Christoph wohl anhand seines Bartes eindeutig identifiziert werden konnte, landete er zusammen mit den Knochen einer weiteren männlichen Leiche und anderen Knochen in dem Sammelgrab. „Laut dem Grabungsbericht wurde diese männliche Leiche in einer Grabkammer gefunden, allerdings ohne Sarg und bedeckt mit einer Erdschicht“, berichtet Hennings. Das sei sehr ungewöhnlich gewesen und könnte dafür sprechen, dass es sich bei diesen Überresten um Adolf von Nassau handeln könnte.
Sicherheit könnte eine Untersuchung an der Universität Göttingen bringen. Dort sollen die Knochen zunächst sortiert werden. Anschließend wird versucht, DNA-Proben von den zwei erwarteten männlichen Leichnamen zu nehmen. „Zunächst werden diese miteinander verglichen“, erläutert Hennings. Sollte dabei keine Verwandtschaft festgestellt werden, wäre dies ein weiterer Hinweis darauf, dass neben Graf Christoph auch der niederländische Freiheitskämpfer seine letzte Ruhe in Oldenburg hatte. „Das könnte man dann über einen Vergleich der DNA mit seiner Schwester, deren Grabstätte man kennt, endgültig klären“, sagt Hennings.

Sarg geöffnet

Ob Adolf von Nassau anschließend in Oldenburg bleiben darf, kann derzeit noch niemand sagen. Fest steht aber, dass Graf Christoph dann eine angemessene Ruhestätte bei seinem Bruder und seiner Frau bekommen soll. „Wir haben lange gerungen, den Sarg zu öffnen, denn die Totenruhe zu stören, ist immer eine schwere Entscheidung“, sagt Hennings. Doch die derzeitige Lage des Sammelsargs – eingemauert auf einer ehemaligen Treppe – sei keine würdige Grabstätte.
Außerdem hofft Hennings, dass Graf Christoph so im Jahr vor dem Reformationsjubiläum etwas mehr Aufmerksamkeit in Oldenburg bekommt. „Er war ein typischer Renaissance-Mensch: Gelehrter, Krieger und auch noch Geistlicher“, schildert Hennings. In Oldenburg setzte er sich für die lutherische Reformation ein, berichtet Pfarrer Hennings. Doch der Oldenburger Graf vertrat als Gelehrter auch reformierte Positionen. Und nicht nur auf die Reformation in Oldenburg war sein Einfluss groß. Christoph beriet seine Schwester Anna, die mit dem ostfriesischen Grafen Enno II. verheiratet war, in Religionsfragen.
Egal wie die Spurensuche am Ende ausgeht: Hennings sagt, es habe sich gelohnt. Nicht nur mit Blick auf den Oldenburger Grafen, sondern auch wegen der neuen Erkenntnisse über die Verknüpfung des Oldenburger Grafengeschlechts mit den Nassauern. Unter anderem fand der niederländische Historiker Doedens während seiner Recherchen ein Taufbuch, das belegt, das Christophs Bruder, Graf Anton I. Taufpate des ersten evangelisch getauften Sohnes von Wilhelm von Oranien war. Die Nassauer und Oldenburger waren damals also eng verbunden.