Auf den Spuren des Apostels Paulus

Im Jahr 69 n. Chr. erlitt Paulus in einem Sturm Schiffbruch und strandete – auf Kefalonia. Unsere Autorin Ursula Wiegand hat sich auf der griechischen Insel umgesehen.

Das Kloster Kipoureon liegt an der Westküste der Halbinsel Paliki
Das Kloster Kipoureon liegt an der Westküste der Halbinsel PalikiUrsula Wiegand

„Janos“ hat die Bevölkerung den Sturm genannt, der am 17. September 2020 über die Ionischen Inseln fegte. Meteorologen nennen dieses herbstliche Wetterphänomen Medicane und verstehen darunter einen subtropischen Hurrikan. Aber so heftig wie dieser war schon länger keiner.

Argostoli, die kleine Hauptstadt von Kefalonia, der westlichen und größten Ionischen Insel, hat jedoch Glück gehabt, und ihre rund 38 000 Einwohner konnten bald aufatmen. „Wir hatten nur geringfügige Schäden und konnten sie schnell reparieren“, sagt Gerasimos Timotheatos vom Hotel Mirabel in der Innenstadt. Auch die schöne Uferpromenade mit ihrer wellenartigen Pflastergestaltung und die De-Bosset-Brücke, die früher Drapano-Brücke hieß, haben den Sturm­attacken getrotzt. Dass sie einen ungewöhnlichen Knick hat, fällt sofort auf. „Die Trassenführung nutzt das Relief des Meeresbodens in der Bucht von Argostoli“, erklärt Heinz Warnecke, Althistoriker und Geograf, der sich seit seiner Jugend mit Kefalonia und ihrer Umgebung intensiv beschäftigt.

Eine Notbrücke

„Zuerst ließ De Bosset im Jahr 1810 eine auf Pfählen ruhende Notbrücke bauen, die bis 1812 durch die heutige steinerne Brücke ersetzt wurde“, führt Warnecke aus. Der erste Teil bis zum Knick – wo der zu Ehren von Gouverneur Charles-Philippe De Bosset errichtete Obelisk steht – sei als Steinbrücke mit flachen Bögen ausgeführt worden, der andere Teil bis zur Gegenküste bei Drapano als Damm.

Früher diente sie dem Autoverkehr, ist aber entsprechend saniert seit 2013 eine reine Fußgängerbrücke. Vom Morgen bis in die Nacht flanieren auf ihr die Griechen und ihre Gäste. Manche werfen dort auch die Angel aus, und alle genießen den Blick auf die Häuser von Argostoli, die an den Bergen „emporwachsen“.

Ein Schäfer bei der abendlichen Heimkehr mit seinen Tieren Foto: Ursula Wiegand
Ein Schäfer bei der abendlichen Heimkehr mit seinen Tieren Foto: Ursula Wiegand

Der Sturm „Janos“ hatte noch schlimmere Vorgänger. Ein wahrer Orkan muss es gewesen sein, der den Apostel Paulus und seine Begleiter im Jahr 69 an Land warf. Aber nicht in Malta, wie es dort nach wie vor behauptet wird, sondern auf Kefalonia! Warnecke hat das aufgrund seiner historischen und nautischen Kenntnisse herausgefunden. Auch studierte er die Apostelgeschichte, insbesondere die Kapitel 27-28, die den Schiffbruch schildern.

In Sturm geraten

Paulus, der sich von Palästina kommend auf dem Weg nach Rom befand, geriet westlich von Kreta in einen Herbstturm, durch den das Schiff mit seinen 276 Insassen zwei Wochen manövrierunfähig in der tobenden See trieb, berichtete die Besatzung. „Da jedoch die Oberflächenströmung des Mittelmeeres von West nach Ost verläuft, hätte Paulus mit dem havarierten Schiff nicht über 800 Kilometer westwärts bis Malta abdriften können“, so Warnecke.

Stattdessen zerschellte das Schiff an Kefalonias Südwestküste an einem kleinen Riff. Dahinter war glücklicherweise Sandboden und flaches Wasser, sodass alle an Land waten konnten und sämtlich gerettet wurden. Daher heißt der dortige kleine Hafen „Agios Sostis“, was „Heilige Rettung“ bedeutet. Daran erinnert auch ein hölzernes Denkmal auf einem Hügel, beschriftet auf Griechisch und Englisch. Ganz in der Nähe, im Dorf Pessada, wurden Paulus und seine Crew gastfreundlich aufgenommen. Der diesjährige Hurrikan habe dort – anders als in den benachbarten Orten – erstaunlicherweise kaum Schäden verursacht, berichtet Warnecke.

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Gemäß der Apostelgeschichte verbrachten Paulus und seine Begleitung drei Monate auf Kefalonia und christianisierten einen Teil der Bevölkerung. Daraufhin entstand dort die älteste frühchristliche Gemeinde zwischen dem Ägäisraum und Mittelitalien“, hebt Warnecke hervor. Auch Überreste urchristlicher Kirchen habe man entdeckt. Aus diesem Grund wurde 1996 in Pessada eine Pauluskirche erbaut. Dort treibt, als wir dort stehen, gerade im Abendlicht ein Hirte seine Schafe und Ziegen zurück zum Dorf. Vielleicht so wie in biblischen Zeiten.

Später wurden auf Kefalonia zahlreiche Klöster errichtet. Das größte und meistbesuchte ist das nur 11 Kilometer von Argostoli entfernte Gerasimos-Kloster, das Gerasimos 1560 im Dorf Omala gründete. Es ist täglich von 9 bis 13 Uhr und von 16 bis 19 Uhr geöffnet. Drinnen blendet sogleich die goldglänzende Ikonostase – die mit Ikonen geschmückte Wand zwischen Altarraum und Kirchenschiff. Umso bescheidener wirkt der über 80-jährige Pater Dionisios in seiner dunklen Kutte, der sich um Ratsuchende kümmert. In einem Silberschrein ruhen die Gebeine von Gerasimos, der Schutzpatron der Insel. Viele Jungen werden auf seinen Namen getauft.

Wilde Lage

Dramatischere Eindrücke vermittelt das Kloster Kipoureon, schon wegen seiner spektakulären Lage an der wilden Westküste der Halbinsel Paliki. 100 Meter über dem Meer steht es auf einem winzigen Plateau zwischen lotrecht abfallenden Felsen. Früher lebten dort zahlreiche Mönche, der letzte ist jedoch vor einigen Jahren verstorben. Das vollständig renovierte Hauptgebäude steht leer, und die meerseitige Terrasse ist schon länger wegen Absturzgefahr gesperrt.

Weniger einsam liegt das Nonnenkloster Agios Andreas Milapidiás nahe Peratata, das im 13. Jahrhundert gegründet wurde. Das Kloster mit seiner Gartenanlage ist nach vorheriger Anmeldung von Montag bis Sonnabend zwischen 8 und 14 Uhr geöffnet. Lohnenswert ist auch der Besuch des angegliederten Museums für Sakrale Kunst sowie die ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammenden Fresken in der byzantinischen Klosterkirche.

Klobige Relikte, uralte Festung

Kefalonia hat neben Paulus noch einen weiteren Prominenten in petto: den sagenhaften griechischen Helden Odysseus. Die angeblichen Überreste seines Schlosses befinden sich auf der kleinen Nachbarinsel Ithaka oberhalb vom Dorf Stavros. Auf der Fahrt dorthin über die Berge lohnt sich der Blick in die weite Bucht der Inselhauptstadt Vathi. Farbenfrohe Häuschen und Fischerkähne reihen sich drunten am Ufer.

In Stavros führt ab der Odysseus-Statue ein Wanderweg über Stock und Stein hinauf zu den klobigen Relikten einer uralten Festung. Aus groben Steinen gefügte Mauern, Treppen und Reste einer Wasserleitung sind zu sehen. Posthum siedelte dort im 8. Jhd. v. Chr. der Dichter Homer seine Odysseus-Sage an.

Ob damit aber das heutige Ithaka gemeint war, bezweifelt Heinz Warnecke. In seiner „Odyssee“ habe Homer die westlichste und höchste Insel als Heimat des Odysseus bezeichnet, also das 734 Quadratkilometer große und schon damals politisch bedeutsamere Kefalonia. Auch habe seit mykenischer Zeit (ca. 1600 – 1200 v. Chr.) der Siedlungsschwerpunkt mit dem Herrschersitz stets auf Kefalonia gelegen. Für Warnecke ist es naheliegend, dass Kefalonias Burgberg Agios Georgios, der eine mächtige Burgruine aus der späteren venezianischen Zeit trägt, schon aus strategischen Gründen der Königssitz gewesen sein muss. „Außerdem wurde am Fuße des Burgberges eine große Nekropole mit 83 herrschaftlichen Gräbern aus der Endphase der mykenischen Zeit gefunden, also aus der mutmaßlichen Zeit des Odysseus“, betont Warnecke.

Aber egal: Auf Ithakas klobigen Relikten und Kefalonias Burgberg lässt es sich mit Blick bis hinunter aufs blaue Meer bestens von lange vergangenen Zeiten träumen.