Dunkle Geheimnisse der Mitschüler, von einer anonymen Website ans Licht gezerrt: Wer steckt hinter dem Psychoterror? Kurz zuvor hatte sich ein gemobbter Klassenkamerad das Leben genommen. Spannende, toll gespielte Serie.
Die Farbe pink verbindet man gemeinhin mit Romantik, Lebensfreude, Weiblichkeit. In dieser Miniserie hingegen ist der Farbton ganz anders konnotiert, steht für Bedrohung, emotionale Kälte, düstere Geheimnisse. Sobald hier eine Szenerie in dunkelrosa-rötlich-pinkes Licht gehüllt wird oder ein entsprechend eingefärbtes Symbol auf dem Smartphone aufploppt, ist klar: Die “Schattenseite” hat ein neues Opfer ins Visier genommen.
Dann erscheint auf sämtlichen Schülerhandys des fiktiven brandenburgischen Städtchens Vresow ein Countdown, der das “Geheimnis” eines Mitschülers, einer Mitschülerin ankündigt. Zuvor müssen allerdings noch genügend Klicks gesammelt werden, was oft nur eine Sache von Stunden ist – die vermeintlich schweigende Mehrheit wirkt am digitalen Pranger also aktiv mit.
Wer oder was hinter der mysteriösen Website steckt, ist die treibende Kraft hinter der spannenden Story. Handelt es sich um Rache für den Suizid eines Mitschülers, der zuvor brutal gemobbt worden war? Der Sechsteiler “Schattenseite”, den Das Erste am 26. Oktober ab 21.45 Uhr ausstrahlt, ruft diverse Assoziationen an thematisch ähnlich gelagerte Serien und Filme wach: Da wäre die gefeierte britische Netflix-Produktion “Adolescence”, die abgründige Story um einen 13-Jährigen, der unter dem Einfluss von Social Media unter Mordverdacht gerät. Der US-Hit “Gossip Girl” über eine anonyme Klatsch-Website, die Serie “Tote Mädchen lügen nicht” um die Hintergründe eines Suizids sowie die US-Produktion “Pretty Little Liars” über anonyme Drohungen.
Parallelen finden sich aber auch zu dem Fernsehfilm “Von uns wird es keiner sein”, der erst vor einer knappen Woche im ZDF erstausgestrahlt wurde: Hier ging es ebenfalls um eine Gruppe Oberstufenschüler, Suizid, mentale Gesundheit sowie anonyme Online-Aktivitäten, die das Geschehen überhaupt erst in Gang bringen. Im direkten Vergleich der beiden Produktionen ist “Schattenseite” klar der überzeugendere Beitrag – was auch, aber nicht nur daran liegt, dass es sich um eine Serie mit mehr Muße für Charakterzeichnung handelt.
Ebenso ist die Story – geschrieben von Hanna Hribar und Jonas Ems nach dessen gleichnamiger Romanvorlage – fesselnder, weniger lehrbuchartig aufgebaut. Die ARD-Serie dekliniert nicht alles aus, setzt auf Zwischentöne und Auslassungen, streut geschickt neue Hinweise. Hier steht eine mitreißend erzählte Geschichte im Vordergrund, keine Botschaft – was ohnehin ein geeigneteres Mittel für Erkenntnisse aller Art ist. Die zersetzende, brutale Macht von Mobbing, analog wie digital, wird so jedenfalls mehr als deutlich. Doch die Serie ist nicht nur gut geschrieben, sondern auch hervorragend gespielt und von Özgür Yildirim und Alison Kuhn mit viel Drive und Gefühl in Szene gesetzt.
Zwar wirken manche Darsteller der etwa 18-Jährigen Figuren einen Ticken zu alt – im realen Leben sind diese Anfang bis Mitte 20 -, doch das macht deren Schauspiel wett: Samirah Breuer in der schillernden Hauptrolle der “Neuen”, die aus noch zu enthüllenden Gründen an Panikattacken leidet, Florian Geißelmann als Außenseiter Corvin und bester Freund des Toten, Ludger Bökelmann als dominant bis brutal auftretender Simon, Tanya Nguyen als vom (Schönheits-)Druck zermürbte Patricia; dazu die Darsteller einer ratlosen, ignoranten und insgesamt wenig hilfreichen Lehrer- und Elterngeneration.
Was die Story angeht, verhält es sich ähnlich wie mit dem Spielalter: Da wird zwar schon mal dick aufgetragen, siehe etwa das Liebesverhältnis zwischen einer Lehrerin und ihrem Schüler. Doch wird dies so gekonnt erzählt, dass man dennoch gerne zu folgen bereit ist. Was nicht zuletzt an der atmosphärischen, in intensive Farben getauchten Kamera liegt, die nah dran ist an den Figuren, am hervorragenden Schnitt und einer ungewöhnlichen Musikspur.
Auch wenn diese Story so oder so ähnlich schon mal erzählt worden sein mag: “Schattenseite” ist eine Produktion, die dem Themenkomplex Mobbing im Angesicht digitaler Möglichkeiten eine überzeugende weitere Farbe hinzufügt – pink eben.