An der St.Pauli-Kirche boxen die Mädchen

Seit rund zehn Jahren lernen Jugendliche Boxen im Jugendhaus der St. Pauli-Kirche. Dabei geht es um mehr als Sport.

Volle Konzentration: Fatima (re.) beim Boxen mit Trainerin Astrid Thomsen
Volle Konzentration: Fatima (re.) beim Boxen mit Trainerin Astrid ThomsenCatharina Volkert

Hamburg. Fatima und Jassmin stehen sich gegenüber. Ernst schauen sie einander in die Augen, ihre Gesichter sind gerötet, Haarsträhnen fallen in ihre Augen. Jassmin hält ihre Boxhandschuhe Fatima entgegen. Diese holt mit der rechten Hand aus, boxt auf Jassmins Handschuh, dann folgt ihre linke, dann wieder ihre rechte Faust. Mit jedem Schlag ist das dumpfe, satte Aufprallen ihrer Boxhandschuhe zu hören. Fatima ist 15 Jahre alt, Jassmin 17. Beide nehmen regelmäßig am Boxtrainig für Mädchen im Jugendhaus St. Pauli teil.
Christa Jürß ist seit 1995 als Sozialpädagogin im Jugendhaus tätig. „Seit etwa zehn Jahren bieten wir das Training an“, sagt sie, „damals ist es auf Wunsch von einigen Mädchen und Jungen entstanden. Es geht um Selbstbewusstsein, Durchsetzen, Sich-an-die-Regeln-halten-können. Und natürlich hat das auch ganz viel mit Kondition zu tun.“ Selbstverständlich sollte der Sport auch kostenlos sein, um niemanden auszuschließen.

"Jetzt fühle ich mich stark"

Manchmal kommen sechs Mädchen zu Trainerin Astrid Thomsen, manchmal sind es drei. Im Keller des Jugendhauses neben der St.-Pauli-Kirche wurde extra ein Sportraum eingerichtet: Der Boden ist dort mit Matten belegt, die Wände sind verspiegelt. Sandsäcke baumeln von der Decke. Trainerin Astrid stellt jedes Mal ein anderes Programm zusammen: Aufwärmen, Technik, Koordination, Reaktion – und Spaß. Sie beobachtet: „Einige wollen sich nur auspowern, andere wollen soziale Kontakte, Selbstsicherheit, Beweglichkeit. Das ist ganz unterschiedlich.“
Seit rund einem Jahr besucht Fatima den Box-Unterricht. Ihr hat eine Sozialpädagogin geraten, das Training zu besuchen – Fatima fühlte sich oft unsicher. „Jetzt fühle ich mich stark, wenn mir abends auf der Straße betrunkene Männer entgegenkommen“, sagt die Schülerin. „Ich bin stärker geworden“, sagt sie heute selbstbewusst.

Boxen gegen die Männer der Familie

In Jassmins Familie wird viel Sport getrieben. Ihr Großvater hat geboxt, ihr Vater, ihr Bruder. „Ich kämpfe gegen meine Familie“, erzählt sie. Ihr Vater ist stolz auf die Boxkenntnisse seiner Tochter, die sie ihm spielerisch demonstriert. Im Training macht ihr das Kämpfen am meisten Spaß. „Ich kann zeigen: Ich kann etwas. Wenn du dich mit jemanden gestritten hast, wenn du Familienprobleme hast, dann kannst du hier alles rauslassen“, sagt Jassmin.
Ziel ist das ‚Rauslassen‘ – das weiß auch Christa Jürß. Sie betont: „Es geht hier nicht so sehr um Kampf, sondern darum, einen Ausgleich zu finden, auch mal über Probleme zu reden. Es geht darum, etwas nur für sich selbst zu machen.“ Dass ihre Jugendarbeit durchaus ungewöhnlich ist, weiß sie – früher gab es auch Teestunden und Gitarrenunterricht. „Uns war wichtig, dass wir das Training begleiten“, sagt Jürß. Dass das Boxen ins Jugendhaus und nicht auf die Straße gehört, sei allen bewusst. Als doch einmal ein Mädchen in Schlägereien verwickelt war, folgten viele Gespräche mit der Sozialpädagogin und der Trainerin, es wurde schließlich vom Sportangebot ausgeschlossen.
Doch Fatima gehen nicht nur zum Boxen ins Jugendhaus. Sie kommt auch zum Lernen und erhält Hausaufgabenhilfe im Jugendhaus. Fatimas Familie stammt aus der Türkei. Auch das ist typisch für die Jugendarbeit. „Wir arbeiten interkulturell und interreligiös“, betont Jürß. „Glaubst du an Gott oder Allah oder wen auch immer?“, diese Frage werde häufig diskutiert. Das Jugendhaus stärkt so junge Menschen für ihre Zukunft. Wie das Boxen. Über das sagt Jassmin: „Das tut dir und deiner Seele gut. Du kannst dich hier rausboxen, rauskämpfen, schreien – es tut so gut.“
Ein Video über die boxenden Mädchen gibt es hier zu sehen