Am richtigen Ort in der Gemeinschaft auf Zeit

Über seinen Einsatz im Ausland erzählt Militärpfarrer Thomas Dietl aus Eutin – angefangen beim morgendlichen Zähneputzen.

Militärpfarrer Thomas Dietl
Militärpfarrer Thomas DietlPrivat

Was wäre, wenn Sie morgens vom Zähneputzen aufschauen und Ihr Pastor Ihnen mit Zahnbürste im Mund ein undeutliches Moin Moin zumurmelt? Wenn der Pastor nicht zufällig auch Ihr Partner ist, würden Sie vermutlich die Polizei rufen.

Als Seelsorger im Auslands­einsatz ist das morgendliche Routine. Zwei Sanitärcontainer für etwa 70 Soldatinnen und Soldaten, da wird es oft eng, und Situationen, die zu Hause ins Private gehören, sind im Einsatz öffentlich. Wie sähe der Alltag von uns Pastorinnen und Pastoren hier in Deutschland aus, wenn ich die Situation­ aus dem Einsatz übertrage­?

Nach dem Zähneputzen gehen Sie dann vielleicht in die Küche, um sich einen Kaffee zu kochen und von Ihrem Tisch prostet der Pastor Ihnen schon zu. Er sagt, hier ist noch ein Platz frei und nach dem Sie sich hingesetzt haben, erzählen Sie erstmal, welche Probleme Sie heute erwarten. Sie holen vielleicht das Handy aus der Tasche und zeigen Bilder von Ihren Liebsten.

Wie man eine Bremsscheibe wechselt

Nach dem Frühstück verabschieden Sie sich und gehen ins Büro. An einem anderen Tag treffen Sie den Pastor zwar nicht beim Zähneputzen und Frühstücken, aber dafür klopft er an Ihrer Bürotür und bietet Ihnen einen Keks an und fragt, wie es heute so läuft? Dann sehen Sie ihn mittags mit anderen Kollegen in der Kantine. Nach der Arbeit holen Sie Ihren ­Wagen aus der Werkstatt und sehen wieder Ihren Pastor, der sich gerade von dem Mechaniker erklären lässt, wie man eine Bremsscheibe wechselt. Sie rufen dem Pastor noch ein bis gleich zu, weil Sie wissen, dass Sie ihn gleich im Fitnessstudio wieder treffen werden.

Beim Abendessen sehen Sie ihn heute einmal nicht, dafür läuft er Ihnen beim Fernsehen noch zweimal durchs Bild und behauptet, er sei heute in der Bar mit Bezahlen dran. Bei einem Bier geben Sie sich einen Ruck und erzählen ihm etwas, was Ihnen schon lange auf der Seele liegt. Später putzen Sie mit einem Ihrer Nachbarn zusammen die Zähne und gehen dann ins Bett. Nachts auf dem Weg zur Toilette kommt Ihnen Ihr Pastor noch einmal entgegen und wünscht eine gute Nacht.

Mit wildfremden Menschen

Ich durfte in diesem Jahr in meinem Auslandseinsatz in Mali erleben, wie es ist, mit wildfremden Menschen auf engem Raum zusammenzuleben. In dieser Schicksals­gemeinschaft haben sich Vertrauen und Zusammenhalt gebildet. In meinem Berufsleben als Pastor war ich bis dahin nicht so dicht an meiner Gemeinde.

Als Seelsorger habe ich das als gleichermaßen herausfordernd und bereichernd erlebt. Herausforderung war für mich, mich an so wenig Privatsphäre zu gewöhnen, und als Bereicherung habe ich das Vertrauen erlebt, aus dem heraus mir viele Soldatinnen und Soldaten aus ihrem Leben und von ihren Sorgen erzählt haben. Manche Gespräche haben in meinem Container in vertraulicher Atmosphäre stattgefunden, manche im Büro der Gesprächspartner, manche waren Tür-und-Angelgespräche, beim Spazierengehen, in der Bar oder beim Sport. So hatten viele die Möglichkeit, sich eine Gesprächssituation zu wählen, in der sie sich am wohlsten fühlen. Als Seelsorger habe ich mich im Auslandseinsatz in Mali an der Seite der Soldaten am richtigen Ort gefühlt.

Unser Autor
Thomas Dietl ist Militärpfarrer in Eutin.