Alte Lutherpostillen auf Dachboden entdeckt

Zu Zeiten der Reformation war sie unter Pastoren beliebt: die Kirchenpostille von Martin Luther. Jetzt hat eine Familie eine dieser Schriften von 1567 entdeckt – zufällig beim Aufräumen.

Johanna Tyrell

Tralau/Hamburg. „Mami, ich habe da ein Buch gesehen von 1567.“ Es ist Juli, als Kaspar Kerssenbrock beim Ausräumen des Dachbodens auf das jahrhundertealte Buch stößt. Seine Tante in Hamburg zieht um, da ist jede Hilfe willkommen. Kaspars Mutter Bettina Gräfin Kerssenbrock streicht vorsichtig über den schwarzen Einband des Buches, das inzwischen vor ihr auf dem Tisch liegt in Tralau bei Bad Oldesloe. „Ich habe es mir dann angesehen und als ich meiner Schwester sagen konnte, was da drin ist und erklären konnte was Episteln und Evangelien sind, hat sie gleich gesagt – nimm mit Tina – damit kannst du mehr anfangen als ich.“

Das Buch ist die Kirchenpostille von Martin Luther (1483-1546) geschrieben zwischen 1521 und 1544, gedruckt 21 Jahre nach seinem Tod in der Druckerei Lufft in Wittenberg. „Mein allerbestes Werk ist diese Postille, welche auch die Papisten loben“ schreibt er im Vorwort. „Ich bin total ergriffen“, sagt Kerssenbrock über den rund 450 Jahre alten Fund.

Für neue protestantische Pastoren

Die Schriften waren für die damals frischgebackenen protestantischen Pastoren gedacht. „Die waren vorher oft völlig ungebildet, und Luther wollte, dass seine Lehre gleichmäßig verbreitet wird“, erklärt die Gräfin. Das 4,3 Kilogramm schwere Werk gliedert sich in drei Teile: die Winterpostille von Advent bis Ostern, die Postille zu den wichtigen Festen des Jahres und die Sommerpostille von Ostern bis Advent­.

Die Struktur ist in allen drei Teilen gleich: Zunächst ist ein filigraner Holzdruck, koloriert in gelb, rot und grün. Er zeigt Szenen aus den folgenden biblischen Textstellen. „Es ist spannend zu sehen, wie sich die gestalterische Erzählweise auf den Drucken im Laufe der Zeit verändert hat“, sagt Kerssenbrock und deutet auf das Gleichnis der königlichen Hochzeit. Vorn rechts im Bild ist Jesus, zu erkennen durch seinen Heiligenschein, zu sehen wie er zu seinen Jüngern spricht. Im Hintergrund dann die verschiedenen Szenen des Gleichnisses: Soldaten, ein Feldzug, Tote aber auch ein mehrstöckiges herrschaftliches Gebäude mit festlichen Tafeln, an denen gespeist wird. „Im Ersten Teil sind die Bilder nicht so mehrdimensional, sondern zeigen nur eine Szene aus dem Gleichnis.“

Blick in die Postille Foto: Johanna Tyrell
Blick in die Postille Foto: Johanna Tyrell

Nach dem Druck folgt die entsprechende Textstelle und dann Luthers Auslegung dazu. Im Vorwort von 1521 schreibt dieser, dass den damaligen neuen Pastoren seine Lehren darin „vorgekaut, wie eine Mutter ihrem Kind den Brei“. „Nach meiner Recherche gibt es davon heute nicht mehr viele. Aber damals war das ein Buch, was jeder Pastor haben sollte“, sagt Kerssenbrock.

„Ein Familienschatz“

Viele Anmerkungen sind im Laufe der Jahre hinzugekommen. Manche Textstellen unterstrichen, mit brauner Tinte Kommentare am Rand notiert. Die alte Schrift ist auch ein Spiegel der Familiengeschichte. Kerssenbrock zieht ein vergilbtes Telegramm zwischen zwei Seiten des 2. Korintherbriefes hervor. „Mein Großvater war im Zweiten Weltkrieg im Widerstand. Das ist ein Telegramm seines Sohnes – der im Krieg gefallen ist“, erklärt sie.

„Ich komme aus einer Pastorenfamilie und erinnere mich noch, wie im Arbeitszimmer meines Vaters immer diese alten Lutherpostillen standen.“ Der Vater starb, als Kerssenbrock noch jung war, die Bücher verschwanden. Mit weißen Handschuhen blättert sie vorsichtig durch die Seiten der alten Schrift. „Wir werden es hüten wie ein Familienschatz, der er ist.“