Alle unter einem Dach

Sie haben ein neues Haus gefunden: die evangelische Musikschule, Stadt-Kantor und Gemeindepädagogin ziehen ein – auch ein Pastor ist dabei.

Vor der Baustraße 27 in Wismar: Silke Thomas-Drabon, Meike Schröder, Thorsten Markert und Christian Thadewald
Vor der Baustraße 27 in Wismar: Silke Thomas-Drabon, Meike Schröder, Thorsten Markert und Christian ThadewaldMarion Wulf-Nixdorf

Wismar. Fast jeder kennt dieses gelbe Eckhaus mit den grünen Fenstern mitten in Wismar, erfahren die neuen Mieter der Baustraße 27 dieser Tage. Jeder habe eine Geschichte zu erzählen, sogar heute der Tischler, sagt Gemeindepädagogin Meike Schröder.  Der habe hier früher eine Schnitzwerkstatt geleitet. Denn das Haus  war zu DDR-Zeiten Kreiskabinett für Kultur. Nach der Wende richtete sich die Denkmalpflege ein, es war eine Zeit auch Stiftungshaus, bevor es ein Architekt kaufte.
Gebaut worden war es Mitte des 18. Jahrhunderts als Gasthaus der Georgengemeinde – man erkennt die ursprüngliche Nutzung bis heute an den vielen kleinen Zimmern. Das Haus steht unter Denkmalschutz, größere bauliche Veränderungen sind damit untersagt, die neuen Mieter müssen sich einrichten in dem, was da ist. Und das hat ganz viel Charme mit den niedrigen Decken – in einem Raum ist sogar ein Teil der alten Holzdecke angebracht – , den krummen Fußböden, dem kleinen Innenhof mit sogar zwei Unterstellmöglichkeiten. Die Evangelische  Musikschule nutzt im Erdgeschoss und im ersten  Stock jeweils zwei Räume für Einzel- und Kleingruppen-Unterricht.

Alte Villa soll verkauft werden

Die Musikschule war Initiator diesen neuen Hauses. Leiterin Silke Thomas-Drabon und Vereinsmitglieder waren ein Jahr lang auf der Suche nach zentral gelegenen, für Kinder und Jugendliche  gut erreichbaren und trotzdem bezahlbaren Räumen gewesen – nicht ganz einfach in einer Stadt wie Wismar. Und manchmal hätte sie auch fast der Mut und der Elan verlassen, gibt sie zu.
Ein Jahr hatten die Schüler und Lehrer der Evangelischen Musikschule ihre Unterrichtsräume in der ehemaligen Kirchenkreisverwaltung in der Doktor-Leber-Straße in Wismar. Diese Villa will der Kirchenkreis Mecklenburg wegen des großen Sanierungsstaus aber nicht behalten und strebt einen Verkauf an. Ein halbes Jahr schlüpften die Schüler im Pfarrhaus und in der Kirche St. Nikolai unter. Aber das war natürlich nur eine Notlösung.  Es sei wie ein Hauptgewinn gewesen, als ein Vater einer Musikschülerin ihr angeboten habe, hier Räume zu mieten, freut sich Silke Thomas-Drabon.
Es waren aber viele kleine Räume im Haus und so machte sie sich auf die Suche nach weiteren Mitmietern – es sollten möglichst welche sein, deren Arbeit sich gegenseitig befruchtet.

Schimmel im Gemeindehaus

Als erste Mit-Mieterin fand sie Meike Schröder, mit der es bereits Arbeitskontakte in der Kinder-Familienarbeit gab. Meike Schröder, die seit zehn Jahren in Wismar tätig ist, hatte noch nie einen eigenen Raum außer ihrem „Luxusbüro“, wie sie es nennt, im Archidiakonat, in dem der Sitz des Propstes und die Verwaltung der Propstei ist. Dorthin konnte sie aber keine Kinder einladen.
Sie sucht seit Jahren die Kinder dort auf, wo sie sind: in Schulen, Kitas. Das wird sie auch weiter tun. Aber sie freut sich sehr, dass sie nun neben ihrem neuen Büro in der Baustraße  einen Raum im ersten Stock hat, in den sie Kinder zum Beispiel zu angeleiteter Stille einlädt. Jeden Mittwoch von 14.30 bis 16 Uhr macht sie dieses offene Angebot.
Dann wollte es eine Katastrophe, dass auch die Marien/Georgengemeinde plötzlich auf der Suche nach sinnvollen Räumen für die Arbeit war. Beim Auszug von Pastor Christian Schwarz, der in den Ruhestand ging, war im Pfarr- und Gemeindehaus in der Bliedenstraße 40 Schimmel festgestellt worden. Vom Keller bis zum Dach, der Pilz war überall – die veranschlagte Sanierungssumme will Markert am liebsten gar nicht aussprechen. Es ist eine siebenstellige Zahl. Die Kirchengemeinde mit ihren rund 1400 Gemeindemitgliedern kann das Geld nicht aufbringen und wie es weitergeht mit dem Pfarrhaus und ob überhaupt – das steht auf einem anderen Blatt. Da muss sich auch die Nordkirche äußern, sagt Markert.

Pastor auf Wohnungssuche

Der Pastor musste sich eine Wohnung auf dem freien Markt suchen. Er fand eine Dachgeschosswohnung. Nach dem ersten Trauergespräch mit einer über 80-Jährigen im neuen Amtszimmer war klar: Die Stufen in die Wohnung sind alten Menschen nicht zuzumuten. Aber in der Neuen Kirche gibt es auch keinen ruhigen Raum für Gespräche. Im Kirchraum ist es außerdem für längeren Aufenthalt zu kühl.
Da passte es einfach, dass in der Baustraße 27, dicht bei der Neuen Kirche, noch einige Räume frei waren. Der Pastor hat nun drei kleine Räume für Gespräche, zum Lagern von Material und wenn er es geschickt anstellt, passen auch zwölf Kirchenälteste an einen Tisch in dem einen Raum. Das wird eng – aber es wird gehen. Wenn man die Türen der drei Durchgangszimmer auf lässt, wird auch die Luft nicht zu knapp werden.
Im Erdgeschoss hat der  gemeinsame Kantor der Stadtgemeinden, Christian Thadewald-Friedrich, der seinen Dienst am 15. Oktober als Nachfolger von Eberhard Kienast begonnen hat,  zwei Räume als Büro und Lagerraum.
Eines verbindet alle neuen Mieter in der Baustraße: Sie sind viel unterwegs, bezeichnen sich als „aufsuchende Gemeindearbeiter“. Kamen früher zum Beispiel die Christenlehrekinder ins Gemeindehaus, so ist es für Meike Schröder schon aus ihrer Arbeit als Jugendkoordinatorin in der kenianisch-lutherischen Kirche in Nairobi klar, dass sie zu den Kinder gehen muss. „Aus der Not eine Tugend gemacht“, nennt sie das und „von außen nach innen arbeiten“.

Gottesdienst für Kinder

So ist es auch mit der Musikschule, die inzwischen zweijähriges Bestehen feierte. Von den rund 310 Schülern kommen nur 100 in die Baustraße. Die drei Kinderorchester proben in der Nikolaikirche.
Zu den anderen Schülern fahren die Lehrer. So gibt es in Neubukow eine Trommelgruppe mit acht Kindern in der Schule und eine Flötengruppe mit drei Spielern im Pfarrjhaus; in Dorf Mecklenburg  gemeinsam mit der Kirchengemeinde Hohen Viecheln gibt es eine Querflötengruppe mit fünf Mitgliedern und im Aufbau ist eine Trommelgruppe; in Dreveskirchen gehören sechs Kinder zum Orchester, 12 lernen Gitarre und eine Blockflötengruppe ist im Aufbau; in Proseken/Hohenkirchen probt seit einem halben Jahr ein  Kinderchor.
Die größte Gruppe ist eine Trommelgruppe mit zurzeit 26 Kindern an der Grundschule  in Rerik, zehn Kinder kommen dort zum Kinderorchester. Außerdem ist als einzige Kantorin in der ländlichen Region Annemarie Göttsche in Rerik und Neubukow tätig, sie leitet  Chöre, unterrichtet Blockflöte und Blechblasinstrumente. Musikschule und kantorin verfolgen gemeinsame Projekte, zum Beispiel gab es im Sommer ein Kinderorchesterprobenlager.
„Wir wollen mit den Kindern Musik machen. Sie sollen auf diese Weise Kirche kennenlernen, in dem sie im Gottesdienst in der Kirche musizieren, in deren Bereich sie wohnen. Viele waren vorher noch nie in einer Kirche und wenn sie spielen, kommen auch Eltern und Großeltern und Geschwister“, sagt Silke Thomas-Drabon.
In Arbeit ist zurzeit ein besonderes Gottesdienst-Format für Kinder und Eltern, an dem Musikschule und Gemeindepädagogin tüfteln, aber auch eine Schulleiterin aus Dreveskirchen zum Beispiel. Ein Treffen hat es bereits gegeben, ein weiteres folgt im Januar. Ein Termin steht auch schon fest: Am 24. März in St. Nikolai Wismar. Das Modell soll dann auch in andere Gemeinden übertragen werden.
„Ins Wasser fällt ein Stein“, summt Meike Schröder das bekannte Lied vor sich hin, „und zieht dann seine Kreise…“