Entschleunigter Agentenfilm um einen Brasilianer, der zur Zeit der Militärdiktatur in den 1970er-Jahren unter falschem Namen in einer Kommune für politisch Verfolgte unterkommt.
Erst als Marcelo (Wagner Moura) an der Zapfsäule steht, bemerkt er, dass sich unweit von ihm eine halb verweste, mit Pappkartons notdürftig bedeckte Leiche befindet. Der Tankwart beruhigt ihn, dass es sich lediglich um einen erschossenen Dieb handle. In das karge Wüsten-Setting schleicht sich sofort eine diffuse bedrohliche Stimmung, die durch langsame Kamerazooms noch verstärkt wird. Noch weiter spitzt sich die Situation zu, als zwei Polizisten auftauchen, die sich überraschend wenig für die Leiche interessieren und dafür umso mehr für den Fremden und seinen heruntergekommenen VW-Käfer.
Die Zeit der brasilianischen Militärdiktatur in den späten 1970er-Jahren etabliert Regisseur Kleber Mendonça Filho im Film “The Secret Agent” mit einer Szene wie aus einem Western. Der Witz der Situation besteht darin, dass für die Beamten aus der Provinz der urban-alternativ aussehende Reisende wichtiger ist als ein Mord. Nachdem die Polizisten weder Drogen noch Waffen gefunden haben, schnorren sie Marcelo noch um ein bisschen Geld für die Karnevalskasse an.
Die unterschwellige Spannung, die sich durch die Szene zieht, hat auch damit zu tun, dass der Reisende zwar ruhig und charismatisch ist, durch seine konzentrierten Blicke aber auch verrät, dass er etwas zu verbergen hat. “The Secret Agent” offenbart jedoch erst deutlich später, was dieser Marcelo eigentlich will, der eigentlich ganz anders heißt.
Gemächlich fädelt der Film erstmal seine verschiedenen Erzählstränge ein, ohne sie miteinander zu verbinden. Dreh- und Angelpunkt ist die nordöstliche Hafenstadt Recife, in der Polizisten, die eher wie Gangster wirken, gerade ein menschliches Bein in einem Hai-Magen gefunden haben. Zwei Auftragskiller machen sich derweil auf den Weg nach Recife. Und auch Marcelo taucht schließlich in der Stadt auf, genau genommen in einer hippieartigen Wohnkolonie, die von der herzlich-markigen Dona Sebastiana (Tania Maria) gehütet wird. Es ist eine familiäre Welt voller Verstoßener und Geflüchteter.
Marcelo ist nicht, was der Filmtitel verspricht. Mendonça Filho inszeniert seinen Film trotzdem über weite Strecken wie einen entschleunigten Agentenfilm, der sich lange Zeit nicht festlegen will. Er umkreist und enthüllt sein Thema nur sachte. Was “The Secret Agent” mindestens genauso wichtig nimmt wie die Handlung, sind die Milieus, in denen sich seine Figuren bewegen. In Marcelos Fall ist es eine linke, revolutionäre Umgebung, die ebenso klug und empathisch wie anmutig und stylish gezeichnet wird. Man trägt adrette Schnauzer, bunte, weit aufgeknöpfte Hemden und filigrane Brillengestelle. Die Musik ist lässig und rhythmisch.
Schon in früheren Filmen wie “Bacurau” und “Aquarius” widmete sich Mendonça Filho Außenseitern und Unterdrückten, die durch engen Zusammenhalt stark genug werden, um sich gegen Reiche, Mächtige und Korrupte aufzulehnen. Statt politischem Dogmatismus interessiert ihn eine lebensbejahende sinnliche Aufmüpfigkeit, wie sie in “The Secret Agent” etwa bei einer nächtlichen Karnevalsfeier auf der Straße in Szene gesetzt wird. Politisch links ist der Blick auf diese repressive Zeit nur am Rande. Auf einem improvisierten Polizeirevier wird eine großbürgerliche Dame hofiert, die den Tod eines Kindes verschuldet hat. Die aufgelöste Mutter und zugleich Angestellte der Dame wird dagegen wie eine Aussätzige behandelt.
Dem Unrecht widmet sich “The Secret Agent” mit einem Hauch Agitprop. Industrielle, Militärs und Polizisten sind überzeichnete Bösewichte, während Arbeiter und Intellektuelle zur letzten Bastion des Anstands überhöht werden. Mit einer Rückblende über Marcelos Vergangenheit beweist Mendonça Filho, wie emotional wirkungsvoll er die Ohnmacht und Wut der weniger Privilegierten zu vermitteln weiß.
Kurz wird der Film zum reißerischen B-Movie, als ein abgetrenntes Bein die Bewohner Recifes in Angst und Schrecken versetzt. Es ist auch ein Seitenhieb auf die fantasiereiche Berichterstattung der Boulevardpresse.
Dass “The Secret Agent” gelegentlich die Form eines Agentenfilms annimmt, hat vielleicht auch mit der Unmöglichkeit zu tun, die Vergangenheit wirklich gänzlich zu verstehen. Irgendwann springt die Handlung in die Gegenwart, wo eine junge Studentin alte Kassettenaufnahmen aus dem Dunstkreis von Marcelo transkribieren soll. Der Versuch, mit dieser Meta-Ebene ein herkömmliches Finale zu verweigern, wirkt ein bisschen bemüht originell. Doch der Sprung in die aktuelle Zeit offenbart auch einen wichtigen Gedanken für den Film, dass nämlich unser Blick auf Geschichte unweigerlich verzerrt und unvollständig ist.