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Ärztin: Auffälligkeiten beginnen meist in früher Kindheit

Ob ein Kind Autist ist oder nicht, können Eltern ärztlich testen lassen. Möglich ist das u.a. an der Asklepios Kinderklinik in St. Augustin, und zwar in mehreren Schritten, wie Chefärztin Dorothea Jacobs im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläutert. Welche Symptome typisch für Autismus sind, beschreibt ihre Kollegin, die Chefärztin Julia Gille.

epd: Welche Formen von Autismus können bei Kindern auftreten?

Julia Gille: In dem noch gerade gültigen Diagnoseschlüssel wurden unter dem Oberbegriff „Tiefgreifende Entwicklungsstörungen“ der Frühkindliche Autismus, der Atypische Autismus und das Asperger-Syndrom unterschieden.

In dem schon entwickelten und demnächst verfügbaren deutschen Diagnoseschlüssel ICD-11 findet man in der Kategorie Neuroentwicklungsstörungen – zu denen man auch ADHS zählt – die Autismus-Spektrum-Störung, die je nach Vorhandensein von Beeinträchtigungen der funktionellen Sprache und erreichter Intelligenzentwicklung noch einmal unterteilt wird.

Es müssen Einschränkungen in den beiden zentralen Bereichen soziale Interaktion und Kommunikation sowie restriktive, repetitive und unflexible Verhaltensmuster und Interessen vorhanden sein. Das alleinige Vorliegen von sozialen und kommunikativen Einschränkungen erlaubt die Diagnose nicht – sondern entspricht einer eigenständigen Diagnose „Sprachentwicklungsstörung mit überwiegender Einschränkung der pragmatischen Sprache“.

epd: Welche Symptome können auftreten und ab wann äußern sich diese?

Julia Gille: Der Beginn der Auffälligkeiten liegt üblicherweise bereits in der frühen Kindheit, zuweilen werden die Betroffenen aber auch erst auffällig, wenn mit Kindergarten oder Schule die sozialen Anforderungen die vorhandenen sozialen Fertigkeiten übersteigen.

Für eine Diagnosestellung wird vorausgesetzt, dass die Verhaltensweisen mit Einschränkungen im Alltag verbunden sind und – durchaus in unterschiedlichen Ausprägungen – grundsätzlich situationsübergreifend vorkommen.

Für die Diagnosestellung formal nicht entscheidend – aber häufig vorkommend – sind eine Abneigung gegen helles Licht, laute Geräusche und Berührungen sowie ein vermindertes Schmerz- und Temperaturempfinden. Häufig beobachtet wird darüber hinaus, dass für die Patienten Veränderungen im täglichen Ablauf, Abweichung von gefassten Plänen und Ortsveränderungen, wie z. B. Urlaubsreisen, besonders schwierig sind.

Wie erfolgt die Diagnosestellung?

Dorothea Jacobs: Die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung erfolgt in mehreren Schritten. Es wird ein ausführliches Anamnesegespräch mit den Eltern und ggf. weiteren Bezugspersonen über die kindliche Entwicklung, das Verhalten und die Kommunikationsfähigkeit geführt. Auch Informationen zu Schwangerschaft und Geburt sind relevant.

Das Verhalten des Kindes in verschiedenen Kontexten ist ein weiterer wesentlicher Teil der Untersuchung – wobei die unterschiedlichen Anforderungen einer kinder- und jugendpsychiatrischen (Tages)Klinik vielfältige Möglichkeiten der Verhaltensbeobachtung bieten.
Zur objektiveren Beurteilung werden oft standardisierte diagnostische Instrumente wie der ADOS (Autismus Diagnostic Observation Schedule) verwendet, bei dem das Verhalten des Kindes in vorgegebenen Situationen bewertet wird.

Ergänzend wird ein Elterninterview ADI-R (Autismus – Diagnostic-Interview-Revised) durchgeführt. Nach Ausschluss anderer Störungen (wie ADHS oder Sprachentwicklungsstörungen) wird die Diagnose letztlich nach der Zusammenschau der Befunde gestellt. Es gibt keine Untersuchung, die allein für sich genommen – und untersucherunabhängig – zur Diagnosestellung geeignet ist.

epd: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Dorothea Jacobs: Zur Verbesserung der sozialen Interaktion und Kommunikation werden individualisierte, entwicklungsorientierte, verhaltenstherapeutisch basierte Therapien anhand wissenschaftlich überprüfter Manuale angewandt. Gleichzeitig werden die Eltern/primären Bezugspersonen bei der Entwicklung einer förderlichen Eltern-Kind-Interaktion angeleitet.

Bei Patienten mit Intelligenzminderung stehen die Förderung alltagspraktischer Fertigkeiten und adaptives Verhalten im Vordergrund der Therapie.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist eine Gruppentherapie zur Förderung der sozialen Interaktion, der Handlungsplanung und Emotionsregulation sinnvoll.

Darüber hinaus ist es wichtig, komorbide Störungen zu erkennen und zu behandeln. Eine medikamentöse Therapie kann lediglich zur Behandlung einer eventuell begleitenden Symptomatik wie z. B. starker Unruhe, Impulsdurchbrüchen und stark ausgeprägter repetitiver Verhaltensweisen eingesetzt werden.