3.160 Behandlungsfehler bestätigt – Ruf nach Meldepflicht

Jedes Jahr passieren Tausende ärztliche Fehler. 3.160 Fälle, teils mit tödlichen Folgen, wurden für 2023 von Gutachtern bestätigt. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein.

Eine Weisheitszahn-OP ist ein Routineeingriff – oft in jungen Jahren. Doch wenn der Arzt beim Heraushebeln einen anderen Backenzahn beschädigt und dieser gezogen werden muss, ist es ein klarer Behandlungsfehler. Aus Sicht des Medizinischen Dienstes der Kassen wird nur “die Spitze des Eisbergs” solcher Fehler gemeldet und untersucht. Daher forderte der Dienst bei der Vorstellung seiner Jahresstatistik am Donnerstag mehr Transparenz, eine neue Fehlerkultur und eine Meldepflicht für besonders dramatische Fehler.

Die Gutachter der Kassen haben im vergangenen Jahr in 3.160 Fällen ärztliche Behandlungsfehler mit Gesundheitsschäden für Patienten festgestellt. In 75 Fällen endeten diese Fehler tödlich. In 2.679 Fällen war der Fehler nachweislich Ursache für den Schaden – nur dann haben Patienten Aussicht auf Schadensersatz. Oft sei es schlechte Kommunikation, die zu Fehlern führe, sagte der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes, Stefan Gronemeyer.

Die rund 12.500 Gutachten zeigten nur einen sehr kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens, so Gronemeyer weiter. Fachleute rechneten damit, dass in etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen Fehler und vermeidbare Schäden aufträten. Dann gäbe es alljährlich bis zu 168.000 Fehler und etwa 17.000 fehlerbedingte, vermeidbare Todesfälle.

Aus diesem Grund fordert der Medizinische Dienst Bund eine Meldepflicht für schwere Fälle – sanktionsfrei und unter Pseudonym. Dies sei nötig, um sogenannte Never events zu verhindern. Solche Fehler, die nie passieren dürften, wurden im vergangenen Jahr in 151 Fällen festgestellt. Dazu zählen etwa zurückgebliebene Fremdkörper nach einer OP oder verwechselte Patienten. Eine 39 Jahre alte Patientin etwa sei bei einer geplanten Zysten-OP versehentlich sterilisiert worden.

Eine Strategie zur Vermeidung von “Never events” sei leicht umsetzbar, nicht kostenintensiv und solle niemanden an den Pranger stellen, sagte Gronemeyer. Es sei bedauerlich, dass der Klinik-Atlas von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht für eine Erfassung der “Never events” genutzt worden sei.

Zwei Drittel der Behandlungsfehler passieren im stationären Bereich, meist in der Unfallchirurgie oder Orthopädie in Krankenhäusern, ein Drittel ambulant. In zwei Drittel der Fälle war der Schaden vorübergehend und konnte behoben werden. Bei einem Drittel verursachte der Behandlungsfehler bleibende Schäden, das reicht von einer Narbe bis hin zu chronischen Schmerzen oder einer Pflegebedürftigkeit.

Patienten können sich bei Verdacht auf einen Behandlungsfehler kostenfrei an ihre Kassen wenden. Diese kann denn Medizinischen Dienst als Gutachter beauftragen. Auch nach längerer Zeit können Schäden gemeldet werden. Entscheidend ist, wann dem Patienten aufgefallen ist, dass vermutlich ein ärztlicher Behandlungsfehler vorliegt. Ab diesem Zeitpunkt gilt eine Verjährungsfrist von drei Jahren.

Dazu, wie oft und wie viel Schadensersatz bezahlt wird, gibt es laut Gronemeyer keine Übersicht. In Deutschland sei es weiterhin aufgrund der Beweislast des Patienten schwierig und langwierig, einen Beschwerdefall vor Gericht durchzubekommen. Aus Sicht der Stiftung Patientenschutz braucht es daher dringend einen Härtefallfonds, um Geschädigte schnell zu unterstützen.