Starker Anstieg antisemitischer Vorfälle in Bayern

Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) Bayern hat 2023 so viele antisemitische Vorfälle dokumentiert wie noch nie zuvor. Mit 733 Vorfällen lag die Zahl um 73 Prozent höher als im Vorjahr, teilte RIAS Bayern am Montag bei der Vorstellung des Jahresberichts „Antisemitische Vorfälle in Bayern 2023“ in München mit. „Diese Zahl stellt einen traurigen Höhepunkt der Entwicklung in den jüngsten Jahren dar“, sagte Ludwig Spaenle, Beauftragter der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus.

Auffallend sei der Anstieg registrierter Vorfälle mit Bezug auf die Ereignisse in Israel und den Palästinensergebieten seit dem 7. Oktober, hieß es im Jahresbericht weiter. Fast die Hälfte aller Vorfälle sei nach dem antisemitischen Massaker der Hamas im Süden Israels bekannt geworden. 70 Prozent davon hätten sich auch durch israelbezogenen Antisemitismus ausgezeichnet. Die antisemitische Agitation auf Bayerns Straßen und im Netz seit dem 7. Oktober habe viele Jüdinnen und Juden tief verunsichert, sagte RIAS-Bayern-Leiterin Annette Seidel-Arpacı.

Unter den 733 dokumentierten Vorfällen waren sieben Angriffe, 31 gezielte Sachbeschädigungen und 31 Bedrohungen – Vorfallsarten, die laut RIAS Bayern eine besonders schwerwiegende Wirkung auf Betroffene haben können. Außerdem sei es zu 23 Massenzuschriften und 641 Fällen verletzenden Verhaltens gekommen, darunter 260 Versammlungen. 81 Prozent der Fälle hätten sich offline abgespielt, 20 Prozent seien „Face-to-Face“-Situationen gewesen, hieß es weiter. Regionale Schwerpunkte waren die Metropolregionen München und Nürnberg. Neben den dokumentierten Fällen ist nach Ansicht von RIAS Bayern von einem großen Dunkelfeld auszugehen.

In 56 Prozent der Fälle konnte RIAS Bayern keinen eindeutigen politisch-weltanschaulichen Hintergrund der Täter oder Täterinnen erkennen. Bei den meisten Vorfällen, bei denen ein solcher Hintergrund festgestellt werden konnte, kamen die Täter aus dem verschwörungsideologischen Milieu (137 Fälle). Bei 74 Vorfällen wurde ein antiisraelisch-aktivistischer Hintergrund bekannt.

Die Zahlen bewiesen, wie verankert Antisemitismus in unserer Gesellschaft sei, sagte Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU). Der Staat Israel, der Schutz und die Sicherheit jüdischen Lebens dürften nicht in Frage gestellt werden. Die Präventionsarbeit gegen Antisemitismus müsse weiter ausgebaut werden, um vor allem auch junge Menschen gegen Antisemitismus zu stärken, sagte Scharf.

Bereits am Sonntag hatte Spaenle als Antisemitismusbeauftragter der Bayerischen Staatsregierung Jüdinnen und Juden aufgerufen, Polizei oder Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen, wenn sie angegriffen oder verunglimpft werden. Außerdem hatte er erneut mehr Bildungs- und Präventionsmaßnahmen und ein hartes Durchgreifen der Behörden gefordert. Der Rechtsstaat müsse sicherstellen, „dass Menschen jüdischen Glaubens ohne Angst in unserem Staat leben können“, sagte Spaenle laut Mitteilung am Montag.

Der Anstieg antisemitischer Straftaten sei eine Entwicklung, die über die Grenzen Bayerns hinausgehe, schreibt Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland und des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern, im Vorwort zum RIAS-Jahresbericht. Unter der Oberfläche habe es ein Potential für Antisemitismus gegeben, „das wir lange Zeit nicht gesehen haben, in manchen Fällen auch nicht sehen wollten“. Gerade der sprunghafte Anstieg öffentlicher Versammlungen mit Antisemitismus-Bezug mache dies deutlich.

Antisemitismus sei „ein Kitt, der die Extreme miteinander verbindet“. Jeder Antisemit sei auch ein Feind der Demokratie. Der Vormarsch des Antizionismus in Deutschland, der auch durch ein dogmatisches Milieu an den Universitäten befeuert werde, bereite ihm große Sorgen, sagte Schuster. Universitäten drohten sich zu sicheren Häfen für antisemitisches Gedankengut zu entwickeln.

Gleichzeitig sei die Bedrohung der Demokratie aus dem rechtsextremen Lager so hoch wie selten in der Geschichte der Bundesrepublik. Er „hoffe, dass Publikationen wie diese die Gefahr einer solchen Politik der gesellschaftlichen Spaltung deutlich machen und eine Warnung sind für ein Jahr, in dem nicht nur in Europa, sondern auch in drei ostdeutschen Ländern gewählt wird“, sagte Schuster.

Träger von RIAS Bayern ist der Verein für Aufklärung und Demokratie (VAD), gefördert wird die Recherche- und Informationsstelle vom Bayerischen Sozialministerium. (00/1356/29.04.2024)