Schulleiter aus Cottbus: Demokratie stärken und Rechtsextremismus bekämpfen

Schulleiter Kaspar Kaiser vom Evangelischen Gymnasium in Cottbus hat wenig Verständnis für populistische Unzufriedenheit – und freut sich über eine „engagierte Zivilgesellschaft“ in Cottbus.

Evangelisches Gymnasium Cottbus
Evangelisches Gymnasium CottbusKatharina Körting

Die Demokratie wird vielerorts in Frage gestellt. Das erlebt auch Kaspar Kaiser, seit 2012 Schulleiter der Evangelischen Schule Cottbus. Über Strategien, dem an dem Gymnasium entgegenzuwirken, spricht er im Interview mit Katharina Körting.

Herr Kaiser, hatten Sie Sorge, als Sie vor über 20 Jahren von Berlin nach Cottbus zogen, in ein politisch „braunes“ Umfeld zu geraten?
Kaspar Kaiser:
Überhaupt nicht!

Sie merkten nichts von den Nachwirkungen der „Baseballschlägerjahre“ der 1990er Jahre, in denen Nazis Angst und Schrecken verbreiteten?
Mit offensichtlichen Nazis war ich nicht konfrontiert. Bin es auch heute nicht. Es gibt eine starke, engagierte Zivilgesellschaft in Cottbus. Allerdings wird auch hier die AfD immer stärker, und man hört oft populistische Sprüche, rassistische oder judenfeindliche Witze, sei es im Verein oder beim Einkauf. Offenen Rechtsradikalismus erlebe ich in meinem Umfeld nicht.

Eine evangelische Schule stelle ich mir ein bisschen vor wie eine Insel der Seligen: Alle teilen dieselben Werte und haben ein christliches Menschenbild, die Eltern sind bildungsnah …
… stimmt! Wobei Insel der Glückseligen übertrieben wäre (lacht).

An anderen Schulen gibt es Hakenkreuzschmierereien und Parolen, neulich machte der mutmaßlich fremdenfeindlich motivierte Angriff eines Lehrers Schlagzeilen. Wurden bei Ihnen auch schon Hakenkreuze gefunden?
Glücklicherweise nicht, auch wenn sicherlich in unserer Schulgemeinde manche mit der AfD sympathisieren.

Bei einer Sitzung des Kuratoriums der Schulstiftung sagten Sie sinngemäß, dass Sie jeden Tag mehrfach in Situationen geraten, wo Sie entscheiden müssten, ob und wie Sie sich zu populistischen Aussagen verhalten?
Das war nicht auf die Schule bezogen, sondern auf den gesellschaftlichen Kontext. Diese typischen Äußerungen, die die Demokratie in Frage stellen. In Sportvereinen, von Handwerkern, im Supermarkt.

AfD-Sprech?
Genau. Pauschales Grünen-Bashing. Oder Angstgefühle, man sei nicht mehr sicher wegen der Ausländerkriminalität, man dürfe seine Meinung nicht mehr sagen, man werde sofort in die Ecke gestellt. Und ein großer Vorbehalt gegenüber den öffentlich-rechtlichen Medien und Presse allgemein. Seit der Coronazeit ist das deutlich mehr geworden.

Kritik an dem, was in der Pandemie im Namen des Gesundheitsschutzes vor allem Kindern und Jugendlichen angetan wurde, ist mittlerweile aber auch im Mainstream angekommen. Da hat das Vertrauen in staatliches Handeln nicht nur von sogenannten Coronaleugnern einen empfindlichen Knacks erlitten. Können Sie die Politikverdrossenheit nachvollziehen?
Zum Teil schon, fragwürdige Entscheidungen haben den Frust potenziert. Aber es war eine Ausnahmesituation. Leider war gar keine Zeit für Aufarbeitung des Geschehens, weil mit dem Krieg gegen die Ukraine gleich die nächste Krise kam, und jetzt eskaliert die Situation in Nahost. Außerdem sind viele politische Fehler passiert, Schnellschüsse von der Ampel-Regierung, allein die Sache mit dem Heizungsgesetz hat viele hiesige Eigenheimbesitzer in Panik versetzt. Der Frust kommt also irgendwo her. Trotzdem verstehe ich nicht immer, warum die Leute so aggressiv unzufrieden sind. Den meisten geht es materiell gut.

Es gab einige Umbrüche in der Lausitz. Vielleicht sind die Menschen hier veränderungsmüde?
Mag sein, aber Veränderung birgt doch auch Chancen! Durch den Strukturwandel fließt viel Geld in die Region, es gibt neue Möglichkeiten, neue Jobs. Da wird einiges schlechtgeredet oder verzerrt wahrgenommen.

Wie reagieren Sie?
Unterschiedlich. Man will sich ja nicht immer herumstreiten. Aber Wenn es zu weit geht, wenn es intolerant oder menschenverachtend wird, fange ich an zu diskutieren. Allerdings führt das nicht immer zu einem Ergebnis, das kennen wir ja auch aus Talkshows. Es ist oft ein Gegeneinanderreden ohne Verständigung.

Und hier an der Schule? Wie stärken Sie die Demokratie?
Wir haben uns von Anfang an dafür stark gemacht. Mit täglichen Andachten, auch von Schülern und Lehrern. Ganz wichtig in allem Handeln: das christliche Menschenbild. Ohne Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und Verständnis füreinander geht es nicht. Mit dieser Haltung beteiligen wir uns an vielen Aktionen, etwa seit 2020 am internationalen Butterfly Project.

Evangelisches Gymnasium Cottbus
Evangelisches Gymnasium CottbusKatharina Körting

Hat das mit den Schmetterlingen an der Fassade zu tun?
Genau, sie sind aus Keramik, und es werden mehr. Jeder der Keramik-Schmetterlinge steht für ein junges Holocaust-Opfer. Schüler der 8. Klassen haben sich mit deren Biografien beschäftigt und Schmetterlinge bemalt. Zum Holocaust-Gedenktag im Januar wurden sie draußen angebracht. Bei uns werden außerdem alle Schüler von der 8. bis zur 11. Klasse zu Mediatoren ausgebildet. Und wir holen Live-Politik an die Schule. Bei unseren Politiker-Speeddatings laden wir auch gemäßigte AfD-Politiker ein. Das hat sich bewährt, die Schüler sind vorbereitet, das wird keine Propaganda-Veranstaltung, sondern eine sachliche Auseinandersetzung.

Zwei Lehrer in Burg (Spreewald) haben vor einiger Zeit mit einem offenen Brief den Rechtsradikalismus an Brandenburger Schulen zum öffentlichen Thema gemacht. Bundes- und Länderschulsprecher legen nahe, dass das zu lange verharmlost wurde. Sehen Sie eine Mitverantwortung der evangelischen Kirche?
Natürlich gibt es eine Verantwortung zur Aufarbeitung auch in der Kirche. An unserer Schule haben wir hier eine privilegierte Situation. Unsere Schülerschaft ist recht homogen, kaum Kinder mit migrantischer Herkunft, wenig Konfliktpotenzial. Aber überall rumort es, auch in der Kirche. Wir überlegen und streiten, wie man zum Beispiel mit AfD-Kandidaten für den Gemeindekirchenrat umgeht. Wo man das Gespräch suchen – und wo man eine Grenze ziehen muss. Als Christen sind wir aufgefordert, die Demokratie zu stärken und den Rechtsextremismus zu bekämpfen.

Zur Person: Der gebürtige Westberliner Kaspar Kaiser lebt seit 2000 in Cottbus und ist seit 2012 Schulleiter der Evangelischen Schule Cottbus Gymnasium. Vorher leitete er eine freie Schule in Neuzelle. Demokratiebildung ist ein Schwerpunkt der pädagogischen Arbeit in der offenen Ganztagsschule. Kaiser, 50 Jahre alt, verheiratet mit einer Cottbuser Ärztin, hat drei erwachsene Töchter. Er unterrichtet Musik und Politische Bildung.